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Bedrohung: AusländerInnenAnmerkungen zum Zuwanderungsgesetz Ist das Zuwanderungsgesetz1 ein grünes Erfolgsprojekt, eine Gefahr für die deutsche Leitkultur oder doch wieder nur legalisierter Rassismus? Was ist neu in der AusländerInnengesetz-gebung und was bedeutet es für die Betroffenen? Am 1. Juli 2004 stimmte der Bundestag nahezu einstimmig für das „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)“. Nachdem am 9. Juli 2004 auch der Bundesrat zustimmte, wird das Gesetz zum 1. Januar 2005 in Kraft treten. Vier Jahre dauerte es seit der Einsetzung der unabhängigen Zuwanderungskommission unter Leitung von Rita Süßmuth, bis der „Zuwanderungskompromiss“ zwischen CDU/CSU und SPD unter Dach und Fach kam. Die Grünen – offiziell Regierungspartei – waren einmal mehr aus Gründen des Machterhalts zur Gutheißung dieses Kompromisses gezwungen. Die Frage, welche „Macht“ da noch erhalten werden soll, sei hier (angesichts des stets drohenden Populismusvorwurfs) nur leise gedacht. Ursprünglich ist „Rot-Grün“ angetreten, einen Paradigmenwechsel im Zuwanderungsrecht zu vollziehen. Bisher gilt in der BRD das Ausländer- und Asylrecht in erster Linie als Gefahrenabwehrrecht. Durch ein neues Zuwanderungsgesetz sollte die Zuwanderung und Integration von MigrantInnen geregelt werden, wobei anerkannt werden sollte, dass Zuwanderung stattfindet und diese lediglich geregelt werden muss. Damit wäre eine Abkehr von dem Prinzip der Verhinderung von Zuwanderung und der Vereinfachung von Ausweisungen erreicht worden. Nach einem 4-jährigen Gezerre blieb leider von diesem hehren Ziel kaum mehr übrig als die Einführung der Begriffe Zuwanderung und Integration auf Gesetzesebene. Vielmehr frohlocken CDU/CSU-PolitikerInnen, dass „Rot-Grün“ ein Glücksfall sei, da mit „Schwarz-Gelb“ ein solches Zuwanderungsbegrenzungsgesetz nie durchsetzbar gewesen wäre. Das deutsche Migrationsrecht verharrt weiter in seinem ordnungspolitischen Korsett. Neue Strukturen Wie der Name des Gesetzes bereits verrät, geht es hauptsächlich um die Begrenzung von allgemeiner Zuwanderung und die Steuerung von wirtschaftlich verwertbarer Zuwanderung. Das neue Aufenthaltsgesetz löst das alte Ausländergesetz ab und regelt umfassend die Einreise und den Aufenthalt von MigrantInnen anknüpfend an den Aufenthaltszweck, statt, wie bisher, an den Aufenthaltstitel. Eine wesentliche Neuerung besteht in der Reduzierung der möglichen Aufenthaltstitel auf die befristete Aufenthaltserlaubnis und die unbefristete Niederlassungserlaubnis. Bezüglich der Kompetenzverteilung werden dem neu entstehenden Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (bisheriges Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge – BAFl) neue Aufgaben zugeteilt. Unter anderem wird dem Bundesamt die Durchführung von Integrationskursen, die Führung des Ausländerzentralregisters, die Umsetzung von „Maßnahmen zur freiwilligen Rückkehr“ und das Betreiben von Begleitforschung zu Migrationsfragen übertragen. Arbeitsmigration Der Gesetzgeber sieht einen erheblichen Bedarf an der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte. Freilich soll die Arbeitsmigration straff gesteuert werden, so dass nur die wirklich „nützlichen Ausländer“ herein dürfen. Im neuen § 18 Abs. 1 Aufent haltsG liest sich das so: „Die Zulassung ausländischer Beschäftigter orientiert sich an den Erfordernissen des Wirtschaftsstandortes Deutschland unter Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und dem Erfordernis, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen.“ Der Staat wird danach genau bestimmen, welche Berufsgruppen in welchen Mengen benötigt werden. Bei Vorlage einer sicheren Arbeitsplatzzusage im Bereich einer benötigten Berufsgruppe stehen dann die Chancen auf einen Aufenthalt zum Wohle des Deutschen Volkes gut. Nach § 21 AufenthaltsG dürfen auch „nützliche Selbständige“ auf einen Aufenthalt hoffen, sofern sie folgende Voraussetzungen erfüllen: 1. Es muss ein „übergeordnetes wirtschaftliches Interesse oder ein besonderes regionales Bedürfnis“ bestehen, 2. die Tätigkeit muss „positive Auswirkungen auf die Wirtschaft“ erwarten lassen und 3. die Finanzierung muss gesichert sein. Laut Gesetzgeber sollen die Voraussetzungen in der Regel erfüllt sein, wenn der/die AusländerIn mindestens eine Mio. Euro investiert und zehn Arbeitsplätze schafft. Zahlreiche Aufgaben, die bisher in der Kompetenz der staatlichen Agenturen für Arbeit lagen, werden nun von den kommunalen Ausländerbehörden wahrgenommen werden, wobei der Aufgabenzuwachs kaum mit einem Personalzuwachs verbunden sein dürfte. Dass dies eine Verschärfung zu Lasten der MigrantInnen darstellt, wird jede/r erkennen, der oder die bereits mit Ausländerbehörden zu tun hatte.
Humanitäre Zuwanderung Auf dem Gebiet der humanitären Zuwanderung bringt das Zuwanderungsgesetz tatsächlich kleine positive Neuerungen. So wird der Flüchtlingsstatus auch dann gewährt, wenn nicht-staatliche Verfolgung vorliegt. Wobei diese Regelung nicht allein dem deutschen Gesetzgeber zu verdanken ist, sondern vielmehr der Umsetzung einer EU-Richtlinie. Auch die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe gehört zu den positiven Neuerungen. Die Rechtsprechung hatte bereits in einzelnen Fällen solche Fluchtgründe anerkannt.2 § 23 AufenthaltsG enthält eine Härtefallregelung. Die Länder können nach freiem Ermessen eine Härtefallkommission einrichten. Diese Kommission kann die oberste Landesbehörde im Einzelfall ersuchen, aus humanitären Gründen einen Aufenthalt außerhalb der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen zu erteilen. Das Land Berlin hat bereits eine solche Härtefallkommission eingerichtet. Andere Länder aber, in denen keine Härtefälle geltend gemacht werden können, sind auch nach der neuen Regelung nicht verpflichtet, eine entsprechende Kommission einzurichten. Eine wirkliche Härtefallregelung fehlt also auch nach dem neuen Zuwanderungsgesetz. Die Duldung bleibt weiterhin bestehen und stellt auch in Zukunft keinen Aufenthaltstitel sondern lediglich den Nachweis der Ausreisepflichtigkeit bei Vorliegen von Abschiebehindernissen dar. Kettenduldungen Ein wichtiger Fortschritt im Zuwanderungsrecht wäre die Abschaffung von Kettenduldungen gewesen. MigrantInnen, die ausreisepflichtig sind, aber aufgrund von Abschiebungshindernissen (Krieg, Folter, Reiseunfähigkeit etc.) nicht abgeschoben werden können, erhalten eine Duldung. Diese Duldung wird jedoch sehr kurz befristet, oft nur für einen Monat. Das führt dazu, dass MigrantInnen ständig im Ungewissen leben müssen, ob ihre Duldung beim nächsten Gang zur Ausländerbehörde verlängert wird. Für die ohnehin psychisch belasteten Flüchtlinge stellt diese Situation eine fast unerträgliche Belastung dar. Das Zuwanderungsgesetz sieht nun vor, dass nach einer 18-monatigen Duldung ein Aufenthaltstitel erteilt werden soll, sofern der „Ausländer“ oder die „Ausländerin“ nicht schuldhaft die Durchsetzung der Ausweisung verzögert haben. Es bleibt abzuwarten, wie die Ausländerbehörden diese Regelung anwenden werden. Es kann aber schon jetzt gesagt werden: Die Kettenduldungen wurden nicht abgeschafft;3 inklusive des für die Betroffenen damit verbundenen faktischen Arbeits- und Ausbildungsverbotes, der Gefahr der Einweisung in „Ausreisezentren“, der Residenzpflicht und dem Ausschluss von jeglichen Integrationsmaßnahmen. Die Abschaffung der Kettenduldungen verkündete aber die „rot-grüne“ Regierung noch Ende Mai in verschiedenen Stellungnahmen und versuchte so (vergebens), dem Zuwanderungsgesetz ein menschliches Antlitz zu verleihen. Integration Der offizielle Anspruch des Zuwanderungsgesetzes ist die Integration der Zuwandernden. Dazu soll jedeR neu Zugewanderte einen Anspruch und die Pflicht haben, einen Integrationskurs zu besuchen. Wird der Kurs nicht ordnungsgemäß besucht, so drohen aufenthaltsrechtliche Nachteile. „Altfälle“, also bereits vor dem 1. Januar 2005 Zugewanderte, sollen je nach Kurskapazität und „Integrationsbedürftigkeit“ ebenfalls zur sanktionierten Teilnahme verpflichtet werden können. In einer Stellungnahme der Wohlfahrtsverbände zum Zuwanderungsgesetz heißt es: „Vom ‚Jahrzehnt der Integration’ in der Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Bundesregierung, ist im Kompromiss mit der Union nun lediglich ein gesetzlich verankerter Integrationskurs übrig geblieben, der im Wesentlichen aus einem Deutschsprachkurs besteht. Durch die Verknüpfung mit Teilnahmepflichten sowie möglichen finanziellen und aufenthaltsrechtlichen Sanktionen, enthält der Integrationskurs zudem eine Drohfunktion.“4 Es bleibt abzuwarten, wie sich die Praxis der Integrationskurse entwickelt. Bereits heute muss aber befürchtet werden, dass die Drohfunktion ein Übergewicht erhalten könnte und dass die Rahmenbedingungen zur erfolgreichen Teilnahme unzureichend sein werden. Der Gesetzgeber geht von 25 TeilnehmerInnen pro Kurs aus. Bedenkt man, dass diese 25 Personen mit völlig unterschiedlichen Migrationsmotiven und Bildungsständen versehen sind, so wird das Problem der Überbelegung schnell deutlich. Zudem weist die Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände darauf hin, dass die Kalkulation von 2,05 Euro pro TeilnehmerIn und Unterrichtsstunde, inklusive Arbeitsmaterialien, deutlich zu niedrig angesetzt ist. Zudem seien Rahmenbedingungen, wie Alphabetisierung, Kinderbetreuung, sozialpädagogische Betreuung nicht ausreichend gesichert worden.5 Innere Sicherheit In Zeiten der „Terrorgefahr“ droht beinahe jedes Gesetz zum „Anti-Ter-rorgesetz“ zu mutieren. So ist es nicht verwunderlich, dass auch bei der Diskussion um das Zuwanderungsgesetz „Sicherheitsfragen“ eine erhebliche Rolle spielten. Diese Diskussion wurde teilweise abseits jedweder Rechtsstaatlichkeit geführt. Das bestehende Instrumentarium zur Ausweisung von verurteilten StraftäterInnen ist bereits bis zur Grenze des rechtsstaatlich Möglichen ausgereizt. Nun sollen aber auch bloß Verdächtige ausgewiesen werden können. § 58a AufenthaltsG besagt bspw., dass aufgrund einer „auf Tatsachen gestützten Prognose“ eine sofortige Abschiebungsanordnung „zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik oder einer terroristischen Gefahr“ erfolgen kann. Diese Anordnung ist sofort vollziehbar, bedarf keiner vorherigen Androhung und kann nur vor einer Instanz (Bundesverwaltungsgericht) angefochten werden. Eine solch drastische Verkürzung des Rechtsschutzes – wegen eines bloßen Verdachts! – erinnert an Guantanamo, wo der Rechtsschutz ebenfalls aufgrund bloßen Verdachts massiv eingeschränkt wird. Dazu äußerte selbst der Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV) Kilger: „Deutschland braucht kein Guantanamo, auch nicht im Ausländerrecht [...] Eine weitere Verkürzung des Rechtsweges und der Klagefristen bei einem bedeutenden Rechtsgut wie dem Aufenthalt, ist ein nicht hinnehmbarer Eingriff in fundamentale Prinzipien, die wir bislang in Deutschland kannten.“6 Außerdem findet sich im AufenthaltsG ein Regelausweisungsgrund für Mitglieder und UnterstützerInnen von Vereinen, die den Terrorismus unterstützen. Es versteht sich von selbst, dass bei dieser „Gummi-Vorschrift“ auch vergangene Mitgliedschaften bzw. Unterstützungshandlungen relevant werden können. LeiterInnen von verbotenen Vereinen sollen in der Regel ausgewiesen werden, die Ausweisung von „Hasspredigern“ liegt im Ermessen der Behörde (§ 55 Abs. 2 Nr. 8 AufenthaltsG) und vor der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis und der Entscheidung über eine Einbürgerung erfolgt eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Der/die kritische TerrrorbekämpferIn fragt sich bei all diesen Regelungen, ob es denn sinnvoll sein kann, „gefährliche Terroristen“ in Länder auszuweisen, in denen sie ihren terroristischen Plänen ungehinderter nachgehen können als hierzulande. „Terrorbekämpfung“ muss Sache der Strafverfolgungsbehörden und der Polizei sein. In den Händen der Ausländerbehörden wirken die Maßnahmen zwangsläufig allein gegen lange hier lebende Ausländer Innen. Das sogenannte „Zuwanderungsgesetz“ ist demnach nicht einmal bereit, bereits abgeschlossene Zuwanderung zu akzeptieren. Bleiberecht! Es versteht sich fast von selbst, dass die von Flüchtlingsorganisationen seit langem geforderte Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete keinen Eingang in das „Zuwanderungsrecht“ fand. Um so dringlicher ist die Ausweitung von Bleiberechtskampagnen. Der Berliner Flüchtlingsrat fordert seit langem, gemeinsam mit Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Migrationsorganisationen und Flüchtlingsinitativen eine großzügige und wirksame Bleiberechtsregelung für bislang ausreisepflichtige Alleinstehende, die seit fünf Jahren in Deutschland leben, Familien mit Kindern, die seit drei Jahren in Deutschland leben, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die seit zwei Jahren in Deutschland leben, traumatisierte Flüchtlinge und Opfer rassistischer Übergriffe.7 Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich ungebremst an der Ausbeutung der Entwicklungsländer. Kein Reichtum ohne Massenarmut – kein Gewinner ohne viele VerliererInnen. Diese Logik des kapitalistischen, wettbewerbsorientierten Mar-ktes bestimmt die „herrschende Meinung“. Die Ausgrenzung der „Verlie-rerInnen“ erscheint daher vielen als „normal“, weil systemimmanent. Wenn die politischen Kräfteverhältnisse derzeit schon nicht die Durchbrechung dieser Logik erlauben, so sollten doch alle fortschrittlichen Kräfte dafür streiten, dass das Migrationsrecht humaner wird und MigrantInnen und Flüchtlinge nicht nur als Bedrohung betrachtet werden. Karl Richter |
1 Gesetzestext z.B. unter http://www. fluechtlingsrat-berlin.de
2 VG Würzburg, U. v. 13.05.2003, W 3 K 02.30006; VG Berlin, U.v. 03.09.2003 VG 1 X 23.03; VG Aachen, U.v. 04.08.03, 2 K 1924/00.A und 2 K 1140/02.A; siehe auch: Angelika Birck, Verfolgung und Flucht von Frauen, MenschenRechtsMagazin (MRM) Heft 2/2002, S. 73 ff. (www.uni-potsdam.de/u/mrz/mrm/mrm18-2.pdf).
3 siehe bspw. taz vom 21.7.04: Illegalität als Alternative.
4 Erklärung des Präsidenten der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohl-fahrtspflege (BAGFW) Dr. Manfred Ragati vom 9.7.04.
5 Stellungnahme der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände in einem Schreiben an ihre Mitglieder vom 10.6.04, Az.: 32.48.10 D.
6 Stellungnahme des DAV zum 55. Deutschen Anwaltstag vom 20. bis 22. Mai 2004 http://www.anwaltverein.de/03/02/2004/dat/dat03-04.html
7 Presseerklärung des Flüchtlingsrates Berlin vom 18.6.04, http://www.fluecht lingsrat-berlin.de