Das Waffenarsenal
Eine Auswahl-Bibliographie

1916
Theodor Däublers „Nordlicht“ – Drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des Werkes. München

1921
Die Diktatur – Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf. Duncker & Humblot, München/Leipzig 1922
Politische Theologie – Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. Duncker & Humblot, München/Leipzig

1923
Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus. Duncker & Humblot, München/Leipzig

1928
Verfassungslehre. Duncker & Hum-blot, München/Leipzig Der Begriff des Politischen. Berlin (1927, 1928, 1932, 1933, 1963=1932)

1931
Der Hüter der Verfassung. Tübingen (1929)

1932
Legalität und Legitimität. Duncker & Humblot, München/Leipzig

1933
Das Reichsstatthaltergesetz. Berlin Staat, Bewegung, Volk – Die Drei-gliederung der politischen Einheit. Hamburg

1934
Über die drei Arten rechtswissen-schaftlichen Denkens. Hamburg Der Führer schützt des Recht – Zur Reichtagsrede Adolf Hitlers vom 13. Juli 1934. Deutsche Juristen-Zeitung

1935
Die Verfassung der Freiheit. Deutsche Juristen-Zeitung

1936
Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist. Deutsche Juristen-Zeitung. Abschlussrede auf der Tagung „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ der Reichsgruppe Hochschullehrer des NSRB (Nationasozialistischer Rechtswahrer Bund, 1928 gegründet als Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ), 1936 in NSRB umbenannt)

1938
Der Leviathan in der Staatlehre des Thomas Hobbes – Sinn und Fehlschlag eines Symbols. Hamburg Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff. Duncker & Humblot, München/Leipzig

1939
Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfrem-de Mächte – Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht

1940
Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles, 1923-1939. Hamburg

1942
Land und Meer – Eine weltgeschicht-liche Betrachtung. Reclam, Leipzig

1945
Das internationalrechtliche Verbre-chen des Angriffskrieges und der Grundsatz “nullum crimen, nulle poena sine lege”. Gutachten (1994 hg. v. H. Quaritsch, Berlin)

1950
Ex Captivitate Salus – Erfahrungen der Zeit 1945/47. Köln Der Nomos der Erde im Jus Publicum Europaeum. Köln

1954
Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber. Neske, Pfullingen (Württemberg)

1956
Hamlet und Hekuba – Der Einbruch der Zeit in das Spiel. Düsseldorf/Köln

1963
Theorie des Partisanen – Zwischen-bemerkung zum Begriff des Politi-schen. Berlin

1970
Politische Theologie II – Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie. G. Maschke. Berlin

1991
Glossarium – Aufzeichnungen der Jahre 1947-1951. Hg. v. E. v. Medem. Berlin 1995 Staat, Großraum, Nomos- Arbeiten aus den Jahren 1916-1969. Hg. v. 2000 Antworten in Nürnberg. Hg. v. H. Quaritsch. Berlin

Auseinandersetzung mit C.S. Auswahl zitiert. Sekundärliteratur

Gross, Raphael:
Carl Schmitt und die Juden – eine deutsche Rechtslehre. Frankfurt/Main 2000.

Günzel, Stefan:
Geophilosophie – Nietzsches philosophische Geographie. Berlin 2001.

Hofmann, Hasso:
Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts. 4. Auflage, Berlin 2002.

Huntington, Samuel P.:
The clash of civiliza-tions and the remaking of world order. New York 1996.

Laak, Dirk van:
Gespräche in der Sicherheit des Schweigens - Carl Schmitt in der politischen Geistesge-schichte der frühen Bundesrepublik. Berlin 1993.

Meier, Heinrich:
Carl Schmitt, Leo Strauß und »Der Begriff des Politischen« - Zu einem Dialog unter Abwesenden. Stuttgart / Weimar, 2. Auflage 1998.

Noack, Paul:
Carl Schmitt – Eine Biographie. Frankfurt/Main / München 1993.

Quaritsch, Helmut:
Positionen und Begriffe Carl Schmitts. Berlin, 2. Auflage 1991.

Rüthers, Bernd:
Carl Schmitt im Dritten Reich – Wissenschaft als Zeitgeist-Verstär-kung? München 1990.

Sombart, Nicolaus:
Die Deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt – ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriachatsmythos. Frankfurt/Main 1997.

Staff, Ilse:
Staatsdenken im Italien des 20. Jahrhundert – Ein Beitrag zur Carl Schmitt-Rezeption. Baden-Baden 1991.


* Der Text ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung eines Artikels, der 2004 unter dem Titel „Carl Schmitt – et tysk spørgsmål som skikkelese” erschien (Institut for Kunst- og Kulturvidenskab (Hg.): Manus, Särnummer 2004, Kopenhagen, p.74-81). Er erscheint hiermit erstmalig auf deutsch.

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Carl Schmitt – eine deutsche Frage als Gestalt

Wege und Umwege einer Theorie- und Rezeptionsgeschichte*

Schärfster Kritiker des Weimarer Parlamentarismus, Kronjurist des „Dritten Reichs“, Vater der Verfassungsväter – die Beinamen, die Carl Schmitt gegeben worden sind, sind zahlreich und betonen seinen jeweiligen Einfluß in den verschiedenen Regierungssystemen, in denen er publiziert hat. Auch wenn seine tatsächliche Wirkung teilweise fraglich ist, hält das Interesse an seinen Schriften – auch von linker Seite – nach wie vor an. Warum eigentlich?

 

Olaf M. Braun

Carl Schmitts (1888-1985) Karriere begann in der Weimarer Republik. Er lehrte Staatsrecht, kritisierte den Weimarer Parlamentarismus und propagierte einen starken Staat. 1933 trat er in die NSDAP ein und wurde zu so etwas wie einem „Kronjuristen des Nationalsozialismus“. Ihm wurden 1936 in dem SS-Organ  „Das Schwarze Korps“ seine zahlreichen Kontakte zu Juden vor 1933 vorgehalten, um ihn als politisch unzuverlässig darzustellen. Das kostete ihn einen Teil seiner Ämter, aber er behielt – nicht zuletzt durch die Fürsprache Hermann Görings – seinen Lehrstuhl. 1945 wurde er vor den Nürnberger Gerichtshof geladen. Er bekam Lehrverbot, wurde aber nicht angeklagt. 1985 starb er zurückgezogen in seinem Geburtsort Plettenberg.


Von der Parlamentarismuskritik zur Partisanentheorie

Wäre das alles, dann wäre Carl Schmitt (C.S.) nur ein weiterer Vertreter der sogenannten Konservativen Revolution gewesen, der im „Drittes Reich“ Karriere machte und nach 1945 einigermaßen unbehelligt in der Versenkung verschwand – wie so viele. Dass dem nicht so ist, zeigt die Tatsache, dass er seit den 80er Jahren fast ununterbrochen Gegenstand sowohl akademischer Auseinandersetzungen als auch der Feuilletons ist. Und dass sowohl Rechte wie Linke von ihm „fasziniert“ sind.

Um zu zeigen, wie es dazu kam, sollen in einem ersten Teil einige Stationen der Theorieentwicklung Carl Schmitts dargestellt werden. Im zweiten Teil soll der Rezeption dieser Theorien nachgegangen und ihren teilweise verschlungenen Wegen gefolgt werden, die sowohl dazu geführt haben, dass schmittsche Konzepte maßgeblichen Anteil an der Entstehung des Grundgesetzes hatten, als auch in linken Theorien ihren Platz gefunden haben. Der dritte Teil wird schließlich der Frage nachgehen, welchen Mechanismen die anhaltende Faszination für C.S. geschuldet sein könnte.

Positionen Schmitts in drei deutschen Staaten

Parlamentarismus & Diktatur

Dass C.S. von Linken rezipiert wurde, fing schon in der Weimarer Republik an. Otto Kirchheimer, Mitglied der Frankfurter Schule, war ein Schüler von Schmitt.1 Walter Benjamin schrieb Schmitt 1930 einen Brief, in dem er ihm mitteilte, wieviel sein Buch Ursprung des deutschen Trauerspiels ihm verdanke. Als Adorno die gesammelten Briefe Benjamins herausgab, ließ er diesen Brief weg. Ebenso strich er aus der von ihm besorgten Ausgabe des Trauerspielbuches alle Verweise auf Schmitt. Was Schmitt für Benjamin interessant machte, war Schmitts Antiparlamentarismus. Schmitt behauptete einen Gegensatz zwischen Rechtsstaat und Demokratie. Demokratie definierte er als „Identität von Regierenden und Regierten“ (u.a. GLP, 20).2 Dieses Konzept, das er auf Rousseau zurückführte und mit dem hobbesschen Souveränitätsgedanken verband, sah er im Laufe der Zeit durch die „jüdische Idee“ des Rechtstaats korrumpiert, wie er 1938 im Leviathan schrieb.3 Im Parlament als einem Ort des Pluralismus der Meinungen sah er die Einheit des Staates gefährdet. Denn: „Zur Demokatie gehört [...] notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.“4

Im Titel seines 1921 erschienenen Buches Die Diktatur – Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf klang außerdem ein Anknüpfen an linke Traditionen an. Und sein Konzept von Demokratie, die keinen Gegensatz zur Diktatur darstellen sollte, war durchaus mit der leninschen These, dass die Diktatur des Proletariats die wahre Demokratie sei, kompatibel.


Das Denken des Souveräns

Was er dem Parlamentarismus entgegenstellte, war der Dezisionismus: klare Entscheidungen eines souveränen Herrschers sollten die Einheit des Staates sichern. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“5 Mit diesem weit über den Leserkreis Schmitts hinaus bekannten Satz beginnt seine 1922 erschienene Politische Theologie. Die andere Formel, die den Dezisionismus auf den Punkt brachte, findet sich in dem vielzitierten Satz aus Der Begriff des Politischen (zuerst veröffentlicht 1927): „Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind“ (S. 26). Dieser Satz hat inzwischen ein derartiges Eigenleben entwickelt, dass es gar nicht mehr nötig ist, den Namen Carl Schmitt zu erwähnen, wenn von Freund-Feind-Denken die Rede ist, so zum Beispiel, als nach dem 11. September der Ausspruch George W. Bushs: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“, mit eben diesem Denken in Verbindung gebracht worden ist.

In der 1931 erschienenen Schrift Der Hüter der Verfassung werden die Motive von Parlametarismuskritik, Souveränitätsdenken und Dezisionismus noch einmal zusammengebracht. Schmitt beschrieb, wie dem „pluralistischen Parteienstaat“ wieder eine „substanzielle Ordnung“ und ein „einheitlicher Staatswille“ gegeben werden soll. Es brauche einen Hüter der Verfassung, der der demokratischen Kontrolle entzogen als „neutrale Gewalt“ die Einheit des Staates wiederherstellen kann. Da er der Justiz diese Aufgabe nicht zutraute, votierte er für den Reichspräsidenten und setzte dementsprechend all seine Hoffnung in das Präsidialsystem unter Hindenburg. Als dieses mit dem Ermächtigungsgesetz endete, konnten die meisten Kommentatoren der Weimarer Reichsverfassung (WRV)  nicht umhin, das Gesetz als legal zu akzeptieren und sich darauf zu beschränken, ihm seine Legitimität abzusprechen (so z.B. Gerhard Anschütz). Carl Schmitt dagegen sah im Ermächtigungsgesetz keine Verfassungsänderung, sondern ihre Beseitigung. Daher sei es auch nicht vom Art. 76 WRV gedeckt. Gleichwohl hielt er es für einen legitimen Schritt zur Etablierung einer neuen Ordnung. Und das obwohl er – trotz seines Votierens für einen autoritären Staat – dem Nationalsozialismus gegenüber zunächst kritisch eingestellt war.

Diese anfängliche Distanz speiste sich vor allem aus seiner Skepsis gegenüber dem Nationalsozialismus (NS) als „Volksbewegung“, also dem Komplement zum – ihm gedanklich viel näher stehenden – Führerprinzip. Der nach 1933 erfolgte Übergang zur Rechtfertigung des totalitären NS-Staats war also weder zwangsläufig noch inkonsequent, sondern opportunistisch in dem Sinne, dass C.S. eine Gelegenheit witterte, einen im Entstehen begriffenen autoritären Staat mitgestalten zu können. Am 1. Mai 1933, am selben Tag wie Martin Heidegger, trat er in die NSDAP ein.


Kontinuität d. Antisemitismus

Im Gegensatz zur plötzlichen Zustimmung zum Nationalsozialismus bestand in bezug auf den Antisemitismus bei C.S. Koninuität. Auch wenn er sich nie so explizit und drastisch dazu geäußert hat wie zwischen 1933 und 1945, finden sich die Anfänge seines „Kampfes gegen den jüdischen Geist“ schon vorher, und dieser Kampf endete für ihn auch nicht nach 1945, wie man seit 1991 in seinen unter dem Titel „Glossarium“ veröffentlichen Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1947 bis 1951 nachlesen kann.

So plötzlich sein Umdenken war, so gründlich war es auch. Unter dem Titel Die Verfassung der Freiheit lobte er die Nürnberger Rassegesetzgebung. Der Führer schützt das Recht war eine Rechtfertigung der Ermordung der SA-Kader in Rahmen des sogenannten Röhm-Putsches. Und 1936 organisierte er die Tagung „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“, auf der er auch die Abschlussrede Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist hielt, um nur einige seiner Texte aus dieser Zeit zu nennen.

Die 1936 gegen ihn geführten Intrigen veranlassten ihn auch nicht, zum NS auf Distanz zu gehen. Sein 1938 erschienener Leviathan bezeugt seinen ungebrochenen Antisemitismus. Diese Situation allerdings, dass C.S. in Ungnade gefallen war, sich in seinen Schriften aber ungebremst antisemitisch äußerte, regte bei seinen Verteidigern im Nachhinein bizarre Interpretationen an.

Seine radikalsten Stellungnahmnen hat Carl Schmitt in einer merkwürdigen Weise so übertrieben, dass sie in sich unglaubwürdig wurden, auch in nationalsozialistischen Ohren falsch klingen mussten. [...] Carl Schmitt wusste das, und ebenso, dass die deutschen Juristen – auch die NS-Juristen – die Unsinnigkeit seiner Behauptungen durchschauten.” (Quaritsch)6

 

 

Konkretes Ordnungsdenken

In die Zeit des Nationalsozialismus fällt auch sein Umdenken weg vom reinen Dezisionismus hin zum „konkreten Ordnungsdenken“, das zum ersten Mal in Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens (1934) erwähnt wird. Dem von ihm kritisierten Rechtspositivismus, den er als eine Mischung aus Dezisionismus und Normativismus analysiert und dessen wichtigster Vertreter Schmitts Intimfeind und früheren Förderer7 Hans Kelsen war, stellt er ein Denken entgegen, das Recht als konkrete Ordnung begreift, d.h. als ein Recht, das in Institutionen verwirklicht ist, in denen die verschiedenen Instanzen bestimmte Entscheidungsbefugnisse haben. „Es gibt keine Norm, die auf ein Chaos anwendbar wäre“, hält er dem Normativismus entgegen. Hingegen müsse derjenige, der die Norm durchsetzen wolle, schon im Rahmen einer Institution die Autorität dazu verliehen bekommen haben. Außerdem sei die Norm auf eine „normale Situation“ angewiesen, ohne die sie schlicht an der Realität vorbeiginge und wirkungslos bliebe. Diese „normale Situation“ und die autoritätsverleihenden Institutionen bildeten die konkrete Ordnung.

Dieser Text, der einige schlaue Analysen enthält, wird jedoch dadurch absolut unlesbar, dass er sich doch wieder nur als eine Schlacht im „Kampf gegen den jüdischen Geist“ zu erkennen gibt:

Die verschiedenen Völker und Rassen sind verschiedenen Denktypen zugeordnet, und mit der Vorherrschaft eines bestimmten Denktypus kann sich eine geistige und damit politische Herrschaft über ein Volk verbinden. Es gibt Völker, die ohne Boden, ohne Staat, ohne Kirche, nur im »Gesetz« existieren; ihnen erscheint das normativistische Denken als das allein vernünftige Rechtsdenken und jede andere Denkart unbegreiflich, mystisch, phantastisch oder lächerlich. Das germanische Denken des Mittelalters dagegen war durch und durch konkretes Ordnungsdenken [...].“8

Derartig ans „Blut“ geknüpft, wird das Recht nun auch immer enger an den Boden gebunden. Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte – Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht (1939) formuliert noch deutlicher die Bedeutung räumlicher Ordnungen für Rechts- und Machtstrukturen, was später zu Schmitts einflußreichem Begriff des nomos als „Einheit von Ordnung und Ortung“ führen soll. Zunächst jedoch hat sich C.S. damit einigermaßen zwischen alle Stühle gesetzt: Einerseits betrachteten die Nazis die Hinwendung zu völkerrechtlichen Themen mit Misstrauen, andererseits führte dieser Text nach dem Sieg über den NS – den C.S. zum „Ende der Epoche der Staatlichkeit“ verklärte – im Zusammenhang mit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zu der Überlegung, C.S. wegen ideologischer Unterstützung des Angriffskrieges anzuklagen.

Der Anklage entgangen, aber durch Lehrverbot zumindest aus dem offiziellen akademischen Diskurs ausgeschlossen, zog er sich in seinen Geburtsort Plettenberg im Sauerland zurück. Das Haus, in dem er wohnte, nannte er symbolträchtig San Casciano nach dem Dorf in der Nähe von Florenz, in das sich Niccolò Machiavelli zurückzog, nachdem er seine Ämter verloren hatte. Regelmäßig kamen ihn dort Bewunderer, Freunde, Schüler besuchen. Seine Theorien wurden in der sauerländischen Abgeschiedenheit weiter diskutiert und weiterentwickelt.

Dadurch hat er es auch ganz hervorragend geschafft, aus der Not seines Lehrverbots eine Tugend zu machen. Sein pathetischer Rückzug in die „Sicherheit des Schweigens“, der allerdings nicht all zu lange angehalten hat, führte nur dazu, dass nun ein umso eingeschworener Kreis von Schülern und Bewunderern sich zu esoterischen Zirkeln im Sauerland traf und bis Ende der 1980er Jahre jeder Staatsrechtler nach Plettenberg pilgern musste, um den Segen des Meisters zu empfangen, bevor er auf einen Lehrstuhl hoffen konnte. Staatsrechtler und -denker wie Forsthoff oder der spätere Bundesverfassungsrichter Böckenförde, die wie kaum andere das Öffenliche Recht und das Verfassungsverständnis der Bundesrepublik beeinflusst haben, sind nur als eine kleine Auswahl dieses Kreises zu nennen. Selbst so archaisch anmutende Äußerungen, wie sie Ex-Innenminister Manfred Kanther zu seiner Verteidigung vor dem LG Wiesbaden vorbrachte,9 gewinnen an Plausibilität, wenn man sich vergegenwärtigt, dass auch er zu den Plettenberg-Pilgern gehörte.


Nachkriegszeit

In den Jahren 1949 und 1950 meldete sich C.S. zunächst zaghaft – unter Pseudonym und an einem skurrilen Ort – wieder zu Wort. In der Eisenbahnerzeitung Fachzeitschrift für Unterricht und Ausbildung veröffentlichte er einige Kommentare zum Grundgesetz, ein „kleines Einmaleins der Verfassung“. Auch wenn er sich stilistisch in diesen Texten noch zurückhielt, sind doch einige seiner Themen wiederzuerkennen. So seine Sorge um die Einheit und „Homogenität des Volkes“, wenn er in bezug auf die – zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht entschiedene – Frage „Mehrheitswahl oder Verhältniswahl“ vor der Gefahr der ersteren warnt, „dass Klassen- und andere Gegensätze sich noch verschärfen und das ganze Volk nach rechts und links auseinandergerissen wird“.10 Oder wenn er ausgiebig die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Verfassung betont. Die Bedenken aus der Weimarer Zeit, diese Aufgabe einem Gericht zu übergeben, kommen hier nicht mehr vor.

In den erst später veröffentlichten Werken Ex Cativitate Salus und Glossarium zeichnet er seine Erfahrungen dieser Zeit auf. 1950 erschien – wieder unter seinem Namen – Der Nomos der Erde im Jus Publicum Europaeum, worin er die Transformation seines Rechtsdenkens in ein Räumliches vollendet.


Der Partisan

Mit einer seiner letzten Schriften, der 1963 erschienenen Theorie des Partisanen – Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, wendet C.S. sich schließlich explizit an ein linkes Publikum. Die Karriere des Partisanen von einer Rand- zu einer Schlüsselfigur moderner Kriegsführung illustriert er dabei unter anderem anhand der Partisanenführer Lenin, Mao Tsetung und Fidel Castro. Den Partisanen zeichnen nach Schmitt vier Charakteristika aus:

Erstens seine Irregularität, da er keine Uniform trage und nicht zu einem hierarchisch organisierten Ganzen gehöre wie der reguläre Soldat zur Armee.

Zweitens seine gesteigerte Mobilität, die einerseits mit seiner Irregularität zusammenhänge, da er sich nicht in einem großen Truppenverband bewegen müsse, wodurch er, ohne durch eine Uniform verraten zu werden, schnell in der Zivilbevölkerung verschwinden könne. Andererseits hinge seine Mobilität mit seiner Kenntnis des Geländes, auf dem er sich bewegt, zusammen (siehe viertes Merkmal).

Drittens sein politisches Engagement. Dieses Merkmal unterscheide den Partisanen von einem gewöhnlichen Kriminellen. Hier sieht C.S. aber auch Anlass, einige Worte über den Umgang mit gegnerischen Partisanen zu verlieren. Seiner Beobachtung nach war es nämlich bisher die Regel gewesen, den Partisanen nicht wie einen gegnerischen Soldaten zu behandeln, sondern ihn wie einen Verbrecher zum Gegenstand von Polizeimaßnahmen zu machen. Für die Zukunft befürchtet C.S. allerdings eine Entwicklung hin zum „totalen Feind“, d.h. der Partisan, der aus keinem Krieg mehr wegzudenken sei, werde weder wie ein Kombattant noch wie ein Krimineller behandelt, sondern jenseits jeglichen Rechts gestellt und somit zur Vernichtung freigegeben.

Viertens zeichne sich der Partisan durch seinen von Schmitt sogenannten „tellurischen Charakter“ aus: Das Gebiet, auf dem er kämpfe, sei auch das, in dem er lebt. Sein politisches Engagement bestehe demnach hauptsächlich darin, seine Heimat gegen fremde Eroberer zu verteidigen. Diese „Erdverbundenheit“ des Partisanen allein würde ihn jedoch nicht zu einer so wichtigen Figur des Kriegsgeschehens machen. Es sei vielmehr so, dass der Partisan dort wo er Bedeutung erlangt, immer in Verbindung mit einem „interessierten Dritten“ stehe, einem „weltaggressiven Revolutionär“. Dabei handle es sich in der Regel um eine Macht mit regulärer Armee und expansiven Interessen, die den Partisanen für ihre Ziele einspanne, ihn dafür aber auch mit moderner Waffentechnik versorge, ohne die der Partisan einer hochgerüsteten regulären Armee völlig unterlegen wäre.


Anhaltende Faszination – Rezeptionen Schmitts

In den 50er Jahre beschränkte sich Schmitts Einfluss zunächst auf die schon erwähnten Gespräche in Plettenberg. C.S. gab auch einige Seminare vor ausgesuchten Zuhörern. Da es den meisten seiner Schüler aber zu dieser Zeit nicht opportun erschien, ihn in ihren Werken zu erwähnen, ist man bei der Einschätzung seines tatsächlichen Einflusses auf Spekulationen angewiesen. In anderen Ländern ist man unbefangener an die schmittschen Theorien herangegangen. In Italien gab es in den 70ern eine regelrechte Schmitt-Renaissance, die 1972 durch eine italienische Ausgabe mehrerer Texte von C.S., darunter Der Begriff des Politischen, ausgelöst wurde. Unter anderem gab es dort eine marxistische Schmitt-Rezeption, die dadurch zustande kam, dass einige italienische Marxisten nicht mehr an die Zwangsläufigkeit des historischen Sieges der Arbeiterklasse glauben wollten und auf der Suche nach einer neuen politischen Strategie auf den Begriff des Politischen zurückgriffen.

Inwiefern die Außerparlamentarische Opposition der 60er und 70er Jahre auf die Theorie des Partisanen eingegangen ist, ist unklar. Bei Mitgliedern der RAF – bei denen es zumindest nahegelegen hätte – finden sich keine Hinweise darauf. Dagegen gibt es Spuren einer Schmitt-Rezeption in Teilen des SDS. Wolfgang Kraushaar hat bezüglich des „Organisationsreferats“, das 1967 von Rudi Dutschke und Hans-Jürgen Krahl auf einer SDS-Delegiertenkonferenz gehalten wurde und in dem zum ersten Mal der Begriff „Stadtguerilla“ fiel, versucht nachzuweisen, dass aus den dort genannten Unterscheidungskriterien zur Bestimmung des Guerilleros hervorgeht, dass Krahl die Theorie des Partisanen ge-lesen haben muss.11

Aber für eine offene Schmitt-Disskussion war in Deutschland erst in den 80ern die Zeit gekommen. Die Jubiläen, die in diese Zeit fielen, und Schmitts Tod 1985 sorgten dafür, dass er in den Feuilletons großer deutscher Tageszeitungen präsent war.


C.S. und das Grundgesetz

Auch erst in dieser Zeit wandte sich die Forschung der Frage zu, welchen Einfluss die Schriften Carl Schmitts auf das Grundgesetz der BRD hatten. Auch hier ergab sich das Problem, dass sich kaum jemand namentlich auf C.S. berief und es von daher unklar ist, inwieweit die Elemente des GG, die mit Schmitts Vorstellungen übereinstimmen, tatsächlich auf ihn zurückgehen. Solche Übereinstimmungen finden sich vor allem in bezug auf die Kritik, die C.S. an der WRV geübt hatte. So gelten das konstruktive Misstrauensvotum (Art. 67 GG) und die Sicherung des Kernbestands der Verfassung (Art. 79 GG) als eine Reaktion auf die Kritik, die C.S. an den entsprechenden Artikeln 54 und 76 der WRV geübt hat. Ebenso scheint sich die Art, wie Schmitt organisatorisches von materiellem Verfassungsrecht unterschied, im Grundrechtsteil des GG niedergeschlagen zu haben.

Aber vor allem in den Bemühungen des Parlamentarischen Rates, dem „demokratischen Totalitarismus“ eine stabilitätssichernde Instanz entgegenzustellen, erweist sich Schmitts Formel vom „Hüter der Verfassung“ als wirksam. Zunächst machte die FDP-Fraktion den Vorschlag, einen plebiszitär gewählten Bundespräsidenten als charismatische Figur dem Parlament entgegenzustellen. Thomas Dehler begründete das damit, dass „die Autoritätsgläubigkeit der Deutschen eine der wenigen Aktiven, die wir noch haben“ sei. Erst als die CDU-Initiative, den Bundesrat als Notstandsinstanz zu konzipieren, an machtstrategischen Bedenken von SPD und CSU scheiterte, begannen die Überlegungen in Richtung eines Bundesverfassungsgerichts zu gehen. Aber obwohl schließlich die Justiz den Zuschlag bekommen hat, kann auch die entscheidende Rolle, die dem Bundespräsidenten bei der Wahl eines Kanzlers, der vorzeitigen Auflösung des Parlaments und dem Gesetzgebungsnotstand zukommt, die Rolle eines „Hüters der Verfassung“ genannt werden – wenn auch nur innerhalb eines bestimmten Bereichs.

Insofern das Verfassungsgericht als dieser Hüter auftritt, der die „wehrhafte Demokratie“ als abgespaltene Instanz verteidigt und seine Entscheidung auf die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ stützt, gehen auch diese Konzepte – wenn auch nur indirekt – auf die Verfassungslehre Carl Schmitts zurück.


C.S., Frankfurter Schule und Poststrukturalismus

Zurück zu den C.S.-Debatten der 80er Jahre: 1986 löste Ellen Kennedy mit einem Artikel über Carl Schmitt und die „Frankfurter Schule“eine Kontroverse aus, die auf das Verhältnis dieser Antipoden ein neues Licht warf. Sie zeigte unter anderem, wie Jürgen Habermas einige Argumentationsfiguren von Schmitt übernommen hatte. Dass nämlich bei Schmitt wie bei Habermas die Kritik politischer Institutionen darauf hinausläuft, dass die Wirklichkeit an einer idealen politischen Konzeption gemessen und der Verfall der wirklichen Institutionen auf die schon in ihrer idealen Gestalt widersprüchliche Konzeption zurückgeführt wird. Dabei gerät das Parlament bei beiden als ein Ort, an dem woanders getroffene Entscheidungen nur noch registriert würden, ins Zentrum der Kritik. Auch die jeweils unterschiedliche Entgegensetzung von Legalität und Legitimität läuft bei beiden auf eine Weigerung hinaus, den (Werte-)Pluralismus anzuerkennen.

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks erlangte das Denken Schmitts nochmal eine gesteigerte Popularität, weil die Tatsache, dass politische Veränderungen mal wieder auf Landkarten sichtbar wurden, seinen Begriff des nomos als räumlichen Aspekt von Macht interessant machte. Das fügte sich auch in die verbreiterte Popularität des Begriffs „Geopolitik“. In diesem Zusammenhang beobachtet Stefan Günzel ein Anknüpfen an eine in Deutschland abgebrochene Tradition, die er „Geophilosophie“ nennt.12 Er rekonstruiert die Geschichte einer Geographisierung der Philosophie und einer philosophischen Überhöhung der Geographie, in der auch C.S. eine, wenn auch nicht entscheidende Rolle spielt. Das hat den angenehmen Effekt, dass es möglich wird, eine schmittsche Thematik aufzunehmen, ohne in Schmitt-Huldigungen zu verfallen.

Durch die verspätete Rezeption des französischen Poststrukturalismus in Deutschland kam es zu einer Art Reimport schmittscher Gedanken, da in Frankreich unbefangener mit dem historischen Hintergrund seiner Theorien umgegangen wurde. Ein paar Beispiele seien genannt:

Derrida geht in Gesetzeskraft in dem Raum, der von Benjamins Kritik der Gewalt und Schmitts Dezisionismus aufgespannt wird, dem Paradox der legitimitätsstiftenden Entscheinung, die selbst nicht legitimiert werden kann, nach. In Politik der Freundschaft dagegen versucht Derrida eine Dekonstruktion des Freund-Feind-Unterschieds.

Manchmal wird auch Michel Foucault mit C.S. in Zusammenhang gebracht, was aber eher der in Deutschland verbreiteten Tendenz geschuldet ist, den Poststrukturalismus in eine rechte Ecke zu stellen (z.B. Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne, 1985) als einem genuin schmittschen Denken bei Foucault, zumindest dann, wenn Foucault direkt als „Carl Schmitt auf französisch“ (Meinhard Rauchensteiner) denunziert wird.

C.S. im 21. Jahrhundert

Nach dem 11. September 2001 gab es einen weiteren Anlass für deutsche Feuilletonisten, sich an C.S. zu erinnern. Neben dem erwähnten Vergleich der Freund-Feind-Theorie mit der US-amerikanischen Einteilung der Welt in die Achse des Bösen und die Antiterrorkoalition waren es vor allem drei Themen, die durch den deutschen Blätterwald rauschten. Erstens bemerkten viele, die in dieser Situation zu Samuel Huntingtons Analyse The Clash of Civilisations (1996) griffen, dass ein Hauptgedanke dieses Buches die direkte Übernahme des schmittschen „Intervetionsverbots für raumfremde Mächte“ ist.

Zweitens wurde darüber spekuliert, ob es sich bei dieser „neuen Dimension des Terrors“ noch um Partisanen im schmittschen Sinne handelte, oder ob man es hier schon mit dem von C.S. prophezeiten „Industrie-Partisanen“13 zu tun habe.

Drittens machte man sich Gedanken darüber, wie mit dieser Bedrohung umzugehen sei. Dabei wurde einerseits des Öfteren das schmittsche Diktum: „Mit Partisanen kämpft man nur auf Partisanenart,“ zitiert.14 Andererseits meinten die deutschen Redakteure die USA davor warnen zu müssen, die Terroristen nicht als „totalen Feind“ zu behandeln, entsprechend der deutsch-pazifistischen Einstellung, die USA mögen doch bitte keinen Krieg „ohne unsere Zustimmung“ führen, wie es Johann Kresnik bei einem Interview im Sommer 2003 rausrutschte.

Ein kritischer Blick auf die USA wurde auch im Rahmen der heftigen Debatte über die amerikanischen Think Tanks gewagt, in der auch der Geschichtsprofessor Heinrich August Winkler mitmischte: Die Behauptung, die Think Tanks, die die republikanische, aber auch die demokratische Partei beraten, seien dominiert von Schülern von Leo Strauß, der wiederum maßgeblich von Carl Schmitt beeinflußt war und als deutscher Jude 1938 nach Amerika emegrierte, führte zu der pikanten Situation, dass man jetzt je nach Standpunkt behaupten kann, die Think Tanks seien von nazistischem oder von jüdischem Denken unterwandert (oder von beidem).

Nicht zuletzt sind noch zwei politische Bestseller aus den letzten Jahren zu nennen, die auch nicht ohne C.S. auskommen und beide in der Tradition der italienischen „Schmitt-Renaissance“ stehen. Empire von Hard/Negri bezieht sich dabei eher indirekt auf C.S., und zwar vermittelt über die Deleuze-Guattarischen Begriffe aus Milles Plateaux. Direkter geht Giorgio Agamben in Homo Sacer auf C.S. ein, wobei es ihm besonders die Begriffe des Ausnahmezustands und der Souveränität angetan haben. Ersterer verleitet Agamben dazu, Konzentrationslager, Abschiebeknäste, Intensivstationen, in denen über das Abschalten „lebenserhaltender Maschinen“ entschieden wird, das Gefangenenlager Guantanamo etc. pauschal zu Orten des Ausnahmezustands zu erklären. Im Kurzschluss mit dem benjaminschen Diktum vom „Ausnahmezustand als Normalfall“ wird dann auch der „moderne Mensch“ zum potentiellen Lagerinsassen erklärt. Den Gedanken der Souveränität versucht Agamben vergeblich als Vervollständigung foucaultschen Machtdenkens auszugeben, was schon allein deshalb zum Scheitern verurteilt ist, weil es mit Foucaults Forderung unvereinbar ist, „die Macht ohne den König zu denken“, sondern im Gegenteil zeigt, dass im politischen Denken „der Kopf des Königs noch immer nicht gerollt“ ist.


Faszination?

Wie aber lässt sich die Frage beantworten, was diese permanente „Faszination“ durch C.S. ausmacht?

Wenn es nur um die von C.S. behandelten Themen ginge, wäre es nicht unbedingt nötig, sich gerade auf ihn zu berufen. Nehmen wir als Beispiel die Fokusierung auf die „Ausnahme“ und den „Ausnahmezustand“, wie C.S. sie propagiert: „Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles; sie bestätigt nicht nur die Regel, die Regel lebt überhaupt nur von der Ausnahme.“15 Schmitt selbst weist darauf hin, dass er nicht der Erste sei, der sich Gedanken zu diesem Thema macht. Er zitiert ausführlich einen „protestantischen Theologen“, nämlich den von ihm nicht namentlich genannten Søren Kierkegaard.16 Auch in Benjamins Thesen Über den Begriff der Geschichte finden wir eine prominente Stelle zum Ausnahmezustand, die einerseits die thematische Nähe, andererseits die enorme Distanz zu Schmitt demonstriert, was die Perspektive anbelangt, unter der der Ausnahmezustand betrachtet wird: „Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, dass der »Ausnahmezustand«, in dem wir leben, die Regel ist.“ Während bei Schmitt die Thematisierung des Ausnahmezustands, die Frage nach dem Souverän, d.h. dem Diktator, beantworten soll, geht es bei Benjamin um die „Tradition der Unterdrückten“ und um eine bessere „Position im Kampf gegen den Faschismus“.

Noch weitergehend können wir sagen, dass Foucault in Die Ordnung der Dinge gezeigt hat, dass die im 19. Jahrhundert entstandenen Sozialwissenschaften uns generell vor die Frage stellen, ob das Normale oder das Abweichende, „Inferiore“ das privilegierte Objekt der Erkenntnis sein soll.

Aber da, wo Schmitts Thesen nicht zu überzeugen wissen, tritt sein Stil auf den Plan. Seine polemischen Begriffsbildungen, seine einprägsamen Formulierungen, die ein Problem auf den Punkt zu bringen scheinen, lassen ihn als als scharfsinnigen (und -züngigen) Beobachter seiner Gegenwart erscheinen, der mutig der unangenehmen Wahrheit ins Gesicht schaue, anstatt sich hinter versöhnlichen Ideologien zu verstecken. Dieses vor allem im Begriff des Politischen als Freund-Feind-Unterscheidung wirkenden Schwarz-Weiß-Denken erzeugt auch einen großen Wiedererkennungswert, der zu dem Anschein führt, überall Bestätigung für die Schmittschen Kategorien zu finden. Festzustellen, dass diese plakativen Gegenüberstellungen nicht sehr weit tragen, bedarf dann schon einer differenzierteren Analyse.17

Aber auch seine Praxis, Neuauflagen seiner Texte gleichzeitig als „authentische Dokumente“ auszugeben und zeitgemäß – oder, wie C.S. gesagt hätte, „occasionell“ – zu kürzen sowie ausführliche Vorworte und Corollarien beizufügen, die die Aufmerksamkeit darauf lenken sollen, dass er schon in der ersten Ausgabe das habe sagen wollen, was ihm zum Zeitpunkt der Neuveröffentlichung als opportun erschien – womit natürlich nur „falschen Mytologisierungen“ entgegengewirkt werden solle –, auch all das gehört in das Arsenal seiner Selbststilisierungen.18

Auch im Zusammenhang mit diesen Selbststilisierungen liegt die Vermutung nahe, dass das anhaltende Interesse an Schmitt zu einem gutem Teil motoviert ist durch das Plus an Aufmerksamkeit, mit dem derjenige rechnen kann, der sich auf diesen „gefährlichen“ Denker einläßt. Dass dieses „Spiel mit dem Feuer“ zumindest in Deutschland immer noch Aufsehen erregt, kann man – in Anlehnung an den Satz, den C.S. von seinem Lieblingsdichter Theodor Däubler übernommen hat: „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt“ – so formulieren: C.S. ist eine spezifisch deutsche Frage als Gestalt. Diese Frage ist nach wie vor die nach dem Umgang mit der Vergangenheit, wobei die Antwort, die diejenigen implizit darauf geben, die sich „unbefangen“ mit diesem „faszinierenden“ Denker beschäftigen wollen, darauf hinausläuft, sich von dieser Frage gar nicht erst beunruhigen zu lassen.

Um dieser Beunruhigung noch ein wenig zuzuarbeiten, möchte ich mich zum Schluss selbst noch auf etymologische Spekulationen einlassen, und zwar zu dem in diesem Zusammenhang gern benutzten Wort „Faszination“ (was gegenüber jemandem, der mit so verblüffenden sprachwissenschaftlichen Entdeckungen aufzuwarten weiß, wie dass „[d]as deutsche Wort Raum [...] unzerstörbar“19 sei, ein durchaus legitimes Vorgehen ist). „Faszination“ kommt von dem lateinischen Wort fascinatio, Beschreiung, Behexung, das einerseits mit fas, dem göttlichen Gesetz, und andererseits mit fascinum, einer als magischem Amulett benutzten Darstellung des männlichen Gliedes, zusammenhängt, von wo aus man sich in Überlegungen zu der größtenteils männlichen Leserschar Schmitts ergehen könnte. Darüberhinaus kann man über fascire, einwickeln, umwinden, eine Verbindung zu den fasces herstellen, jenen berühmt-berüchtigten Rutenbündeln, von denen sich der Begriff Faschismus ableitet. Die Faszination, die immer wieder als die Begründung für die unvoreingenommene Beschäftigung mit C.S. angeführt wird, ist also keine Entschuldigung, ganz im Gegenteil.

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1Dieser Brief ist übrigens der einzige, der zwischen Schmitt und Benjamin kursierte, auch wenn in der Literatur manchmal – so bei Habermas und Derrida – von einer darüberhinaus gehenden „Korrespondenz ” die Rede ist.

2Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus. Duncker & Humblot, München/Leipzig 1923, S. 20.

3Carl Schmitt: Der Leviathan in der Staatlehre des Thomas Hobbes – Sinn und Fehlschlag eines Symbols. Hamburg 1938.

4Siehe Fn. 2, S. 14.

5Carl Schmitt: Politische Theologie – Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität. Duncker & Humblot, München/Leipzig 1922, S. 11.

6Quaritsch, Helmut: Positionen und Begriffe Carl Schmitts. Berlin, 2. Auflage 1991, S. 107.

7Der strenge Katholik Schmitt hatte es Kelsen zu verdanken, dass er aus der protestantischen Diaspora in Greifswald an die Universität Bonn berufen wurde; ein Umstand, der ihm zwar sehr zu pass kam, für den er Kelsen, „den Juden”, aber leidenschaftlich hasste.

8Carl Schmitt: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens. Hamburg 1934, S. 9.

9Manfred Kanther hatte gestanden, 20,8 Millionen Mark aus trübsten Quellen mit zwei Komplizen in die Schweiz transferiert und damit gegen das Parteiengesetz verstoßen zu haben, zu seiner Rechtfertigung jedoch erklärt, der Rechtsbruch sei zur Abwehr eines „spätsozialistischen Generalangriffs auf Politik und Gesellschaft“ geboten gewesen. Er hatte gestanden, gegen das Transparenzgebot des Grundgesetzes verstoßen zu haben, aber ganz offensichtlich doch für eine gute Sache: „Man hat uns in Hessen immer wieder die linke Speerspitze entgegengehalten, und wir haben sie stumpf gemacht.“ Nur die Untreue, deretwegen er angeklagt war und verurteilt wurde, hatte er vehement bestritten: Keinen Pfennig habe er veruntreut, sondern stets „aus einer anständigen politischen Grundmotivation gehandelt“.

10Dr. Haustein (alias Carl Schmitt): Grundfragen der Verfassung. Neuabgedruckt in: Klaus Hansen / Hans Lietzmann (Hg.): Carl Schmitt und die Liberalis-muskritik, Opladen 1988, S. 172. Ursprünglich in: Eisenbahner-Zeitung. Fachzeitschrift für Unterricht und Ausbildung, 2. Jahrgang (1949), Heft 3, S. 65-66.

11Bei jenen, die sich auf eine Zwangslogik des Entweder-Oder beriefen und sich als ‚Leninisten mit Knarre‘ bezeichneten, stand insgeheim Carl Schmitt Pate“ (Wolfgang Kraushaar: Phantomschmerz RAF. In: Ders.: 1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur, Hamburg 2000, S. 163-171, hier S. 166). Viel wichtiger als die Frage, inwiefern es gerade C.S. war, der hierzu die Ideen lieferte, ist Kraushaar die Feststellung, dass der voluntaristische Dezisionismus, der anfing das antiautoritäre Denken zu durchdringen, im Sinne einer „Dialektik des antiautoritären Bewusstseins“ zu „innerer Terrorisierung“ und „autoritärem Umkippen in neoleninistische, maoistische und stalinistische Kadergruppen“ führte (vgl. Wolfgang Kraushaar: Autoritärer Staat und Antiautoritäre Bewegung. In: Ders. (Hg.): Frankfurter Schule und Studentenbewegung Bd.3, Hamburg 1998, S. 15-33).

12Günzel, Stefan: Geophilosophie – Nietzsches philosophische Geographie. Berlin 2001.

13Carl Schmitt: Theorie des Partisanen – Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen. Berlin 1963, S. 81.

14a.a.O., S. 73.

15Fn. 5, S. 22.

16Der Grund für die Nichtnennung Kirkegaards könnte darin liegen, dass Schmitt die zitierte Passage ganz anders interpretiert als das der Orginalzusammenhang nahelegt. Vgl. Hofmann, Hasso: Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts. 4. Auflage, Berlin 2002, S. 59.

17In diesem Zusammenhang sei auf die sehr genaue Untersuchung zum Feindbegriff hingewiesen, die Hasso Hofmann in: Recht - Politik - Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt am Main 1986, S. 206 - 241, vorgenommen hat.

18Besonders eindrucksvoll ist in dieser Hinsicht die Veröffentlichungsgeschichte des „Begriffs des Politischen“, aus dessen Vorwort zur Neuauflage von 1963 auch die Zitate stammen.

19zitiert nach: Günzel: Geophilosophie, Berlin 2001, S. 31.