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Hochrüstung bei der Berliner Polizei

 

Berlin: Mit Die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland wirft auch in Berlin ihre Schatten voraus. Bis Anfang April diesen Jahres sollen alle Direktionshundertschaften und die beiden Bereitschaftspolizei-Abteilungen mit dem Tonfa, im Polizeideutsch auch Mehrzweckeinsatzstock genannt, ausgerüstet werden. Dieser ist ca. 60 Zentimeter lang, hat einen Quergriff und besteht aus extrem harten Kunststoff. Angeschafft werden 2 347 Stück. Bislang sind in Berlin bereits Personenschützer, Zivilstreifen und Spezialeinheiten wie Mobiles bzw. Sondereinsatzkommando damit ausgerüstet. Eine Einführung auch bei der Bereitschaftspolizei scheiterte nach Angaben des Innensenators an der „längeren Diskussion“ in Berlin.

Damit meinte er wohl unter anderem das damalige Ansinnen der „Einsatzbereitschaft für besondere Lagen und einsatzbezogenes Lagetraining“ (EbLT) nach Ausrüstung mit dem Tonfa. Nach einer Vorführung auf dem Schreibtisch des damaligen Polizeipräsidenten Georg Schertz, bei dem die gesamte Büroeinrichtung gewackelt haben soll, verbot dieser die Ausstattung der EbLT mit dieser Waffe. Und zeigte damit Weitsicht. War doch die nach den schweren Ausschreitungen in Kreuzberg am 1. Mai 1987 gebildete „Schwerpunkteinheit“ für ihre besondere Brutalität berüchtigt. PolizeibeamtInnen meinten damals, bei einer Ausrüstung der EbLT mit dem Tonfa hätte es Tote gegeben.

Die Einführung ging jedoch auch diesmal nicht ohne Diskussion über die Bühne. Innerhalb des Innenausschusses des Abgeordnetenhaus stritten die ParlamentarierInnen über Sinn und Nutzen der Aufrüstung. Die PDS befürchtete eine unzureichende Ausbildung der PolizistInnen am Tonfa, während SPD und CDU keinerlei Probleme mit der Anschaffung hatten. Die FDP sorgte sich allein um die Finanzierung, wird diese doch „nur“ teilweise vom Bund übernommen. Die Grünen wunderten sich über den plötzlichen Stimmungsumschwung; sei doch zuvor selbst von der Polizei die Einführung des Tonfa bei der Bereitschaftspolizei jahrelang nicht für notwendig erachtet worden.

Also nutzten die Abgeordneten die Gelegenheit zu einem Ausflug und ließen sich den Tonfa-Einsatz am 20. September 2004 auf dem Tegeler Gelände der Landespolizeischule vorführen. Nachdem man sich mehrere Kampfszenen aus deutschen und europäischen Fußballstadien auf Video gezeigt wurden („dynamische Lagen ..., in denen der deeskalierende Einsatz von Mehrzweckstöcken vorteilhaft gewesen wäre...“), diskutierten die anwesenden Ausschussmitglieder über Vor- und Nachteile des Tonfa gegenüber konventionellen Einsatzmitteln.

Neben der leichteren Handhabbarkeit gegenüber Schutzschild und längeren Schlagstöcken wurde von einem Polizeibeamten die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten an „Hebel-, Quetsch- und Presstechniken“ sowie „Festigkeit und Steifigkeit“ im Vergleich herkömmlichen Gummiknüppeln gelobt. Hinsichtlich der Ausbildung erläuterte der Beamte, dass dies in einem Grundlehrgang von fünf Tagen vermittelt werde, die Fortbildung nehme zehn Termine zu je anderthalb Stunden pro Jahr in Anspruch.

Zweifel daran, ob diese ausreichend sein werden, machte eines der vorgeführten Videos deutlich. Dort war zu sehen, wie ein Polizeibeamter seinen Tonfa wie einen Hammer gehalten hatte. So musste selbst der für die Ausbildung am Tonfa zuständige Beamte einräumen, diese „Axtschlagbewegung“ sei nicht sachgemäß, um gleich zu versichern, diese werde auch nicht trainiert.

Als „Kontrollinstrument“ soll es nach Angaben von Polizeipräsident Glietsch eine Meldepflicht für Tonfa-Einsätze geben. Darüber hinaus solle zumindest in den ersten Jahren auch die Einsatzberichte regelmäßig ausgewertet werden, um daraus Schlussfolgerungen für die Aus- und Fortbildung zu ziehen.

Nicht nur der Einführungstermin im April spricht dafür, dass die Anschaffung des Tonfa wohl nicht nur mit der Weltmeisterschaft zusammenhängt. So berichtete der Polizeipräsident, dass die Diskussion über die Ausrüstung der Berliner Bereitschaftspolizei mit dem Tonfa nach dem 1. Mai 2005 (!) und im Hinblick auf die Fußballweltmeisterschaft 2006 erneut an die Polizeiführung herangetragen worden sei.

Dass Demonstrierende von dieser „Neuausstattung“ nichts Gutes zu erwarten haben, machte auch eine historische Reminiszenz deutlich. So zeigte sich der Grünen-Abgeordnete Volker Ratzmann verwundert, dass gerade die Steifigkeit für den Tonfa spräche. Sei doch der bis dato bei der Berliner Polizei eingesetzte Holzknüppel aus dem gleichen Grund vor einiger Zeit aus dem „Verkehr“ gezogen worden, der sogar eine Sollbruchstelle gehabt habe. Darauf erwiderte Glietsch, er sei aus dem Verkehr gezogen worden, weil seine Splitter Verletzungen verursacht hätten. Darüber braucht mensch sich angesichts des Verhaltens von Berliner BereitschaftspolizistInnen nicht zu wundern. So berichteten DemonstrationsteilnehmerInnen wiederholt von Geschehnissen am 1. Mai, bei denen BeamtInnen derart hart selbst auf Köpfe von Demonstrierenden schlugen, dass die Holzknüppel zerbrachen.

Es bleibt also abzuwarten, ob entsprechende Vorfälle mit Tonfa-Einsatz zu einem Wiederauflammen der Diskussion führen wird. Ob diese aber zu einer Abschaffung führen würde, darf bezweifelt werden. Die pure Existenz und die mit der Einführung verbundenen Kosten sind zu starke „Argumente“ dagegen.

Marten Mittelstädt


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