akj



Home

Aktuell

Erklärungen

das freischüßler

     Ausgabe 1/99
     
Ausgabe 2/99
     
Ausgabe 3/99
     
Ausgabe 1/00
     
Ausgabe 2/00
     
Ausgabe 3/00
     
Ausgabe 1/01
     
Ausgabe 2/01
      Ausgabe 1/02

     
Ausgabe 1/03

     
Ausgabe 2/03
      Ausgabe 1/04

     Ausgabe 1/05

      Ersti-Heft

Vorträge

Projekte

Seminare

Links

Impressum



Angriff auf die Mitbestimmung

Wie mit EU-Recht das inländische Recht der Mitbestimmung dereguliert wird

Von der EU kommen immer wieder neue Rechtsvorschriften, die bundesgesetzliche Regelungen tangieren und zu Novellierungen Anlass geben. Dass diese nicht immer nur fortschrittlichen Inhalts sind, sondern auch zum konkreten Abbau bestehender Schutzrechte im Zeichen der neoliberalen Trendwende beitragen, soll am Beispiel der Erosion der Unternehmensmitbestimmung durch die Niederlassungsfreiheit verdeutlicht werden.

 

Johannes Heuschmid

Einleitung


Nach längerer Ruhe an der rechtspolitischen Front, hat die Diskussion um die Arbeitnehmermitbestimmung in Deutschland an Schärfe zugenommen. Bisheriger Höhepunkt der Angriffe auf die Mitbestimmung war die Äußerung von Ex-BDI Präsident Rogowski, der verlautbarte, die Mitbestimmung sei ein Irrtum der Geschichte.1

Die praktisch einhellige Ablehnung dieser Äußerung, gerade auch in Unternehmerkreisen,2 zeigt auf, wie sehr die Mitbestimmung von ArbeitnehmervertreterInnen in deutschen Unternehmen bereits zum sozialen Konsens gehört. Gefährlich wäre jedoch zu glauben, dass sie deshalb gegen Angriffe auf Dauer immun sei. Auffallend ist insbesondere, wie in letzter Zeit immer häufiger mit den Entwicklungen auf der europäischen Ebene argumentiert wird, um eine Deregulierung des inländischen Rechts der Mitbestimmung zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang wurden in letzter Zeit verschiedene „Reformvorschläge“3 lanciert. Gemein ist den Vorschlägen, dass sie die Mitbestimmung abschaffen oder abschmelzen wollen. Besonders abgesehen haben es die Mitbestim-mungsgegnerInnen dabei auf die gesetzliche Mitbestimmung, die paritätische Sitzverteilung im Aufsichtsrat, die Größe des Aufsichtsrats und last but not least auf die gesetzlich vorgesehene Entsendung von Gewerkschaftsvertreter-Innen in den Aufsichtsrat.

Dieser Aufsatz will ergründen, welche Trends sich gegenwärtig auf der europäischen Bühne abzeichnen und welche Auswirkungen diese auf das nationale Recht der Mitbestimmung haben können. Bei den Auswirkungen wird speziell darauf zu achten sein, inwiefern aufgrund der gegenwärtigen Rechtslage schon eine „Flucht aus der Mitbestimmung“ möglich ist und welche rechtspolitischen Wirkungen von der europäischen Entwicklung auf die innenpolitische Debatte ausgehen können. Bevor jedoch der Blick auf Europa gerichtet wird, ist zunächst der Begriff der Mitbestimmung zu bestimmen und der Status quo der inländischen Rechtslage darzustellen.


Begriffsbestimmung

Was den Begriff der Mitbestimmung angeht, steht im Fokus dieses Aufsatzes die Unternehmensmitbestimmung.4 Das Recht der Unternehmensmitbestimmung liegt an der Schnittstelle von Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht.5 Die Beteiligung der ArbeitnehmerInnen erfolgt rechts-formabhängig in den Organen der Gesellschaft – grundsätzlich dem Aufsichtsrat. Die Richtlinie zur Ergänzung des Statuts der Europä-ischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (SE-RL) enthält eine Legaldefinition für diese Form der Arbeitnehmermitwirkung.6 Besonders wichtig ist hier die Abgrenzung zur betrieblichen Mitbestimmung (BetrVG). Die betriebliche Mitbestimmung knüpft rechtsformneutral an die arbeitstechnisch definierte Einheit „Betrieb“ unterhalb der Ebene des Unternehmens an und wird vornehmlich durch Betriebsräte ausgeübt.7


Status Quo d. Mitbestimmung in Deutschland

Des Weiteren ist das geltende Recht der Mitbestimmung zu skizzieren.8 Diese setzt sich aus dem Drittelbeteiligungsgesetz, dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 und den Montanmitbestimmungs­gesetzen zusammen. Wie bereits angedeutet, ist der Anknüpfungspunkt der deutschen Mitbestimmungsgesetze das Unternehmensorgan Aufsichtsrat, der sich aus VertreterInnen von Arbeitnehmern und Anteilseignern zusammensetzt. Die Aufgaben und Kompetenzen des Aufsichtsrats sind je nach Gesellschaftsform sehr unterschiedlich. In der Aktiengesellschaft z.B. ist der Aufsichtsrat ein wichtiges Kontrollorgan, ihm obliegt die Bestellung und die Abberufung der Vorstandsmitglieder (§ 84 I AktG) und die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstandes (§ 111 AktG).9

Das Minimalsystem der Mitbestimmung (Aufsichtsrat muss zu einem Drittel aus ArbeitnehmervertreterInnen bestehen) ist im neuen Drittelbeteiligungsgesetz statuiert, welches am 1.7.2004 das Betriebsverfassungsgesetz 195210 abgelöst hat. Die Mitbestimmungsregelungen des Drittelbeteiligungsgesetzes wird durch die Wahl einer bestimmten Rechtsform (AG, KGaA, GmbH, VVaG und e.G.) und das Überschreiten der Schwelle von 500 ArbeitnehmerInnen ausgelöst.

Beim Eingreifen des Mitbestimmungsgesetz von 1976 (MitbestG) tritt das Drittelbeteiligungsgesetz zurück. Der Anwendungsbereich des MitbestG erfasst Unternehmen der Rechtsformen AG, KGaA, eG und GmbH, wenn sie die Schwelle von 2000 ArbeitnehmerInnen überschreiten. Im Fall des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 setzt sich der Aufsichtsrat je zur Hälfte „paritätisch“ aus VertreterInnen der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammen (§ 7 I MitbestG). Von wirklicher Parität kann allerdings keine Rede sein, da im Ernstfall die Stimme des/der Aufsichtsratsvorsitzenden, der/die regelmäßig von den AnteilseignerInnen bestellt wird, doppelt zählt (§ 29 II MitbestG).11

Nochmals vorrangig ist die Mitbestimmung nach den Montanmitbestimmungsgesetzen, namentlich nach dem Montan-MitbestG 1951 sowie nach dem MitbestErgG 1956. Erfasst werden hiervon Unternehmen, die in der Rechtsform der AG oder der GmbH betrieben werden und in der Regel mehr als 1000 ArbeitnehmerInnen beschäftigen. Hinzukommen muss, dass es sich um ein Unternehmen der Montanindustrie12 handelt (§ 1 II Montan-MitbestG). Das MitbestErgG erweitert den Anwendungsbereich des Montan-MitbestG 1951 und schreibt die Mitbestimmung für Gesellschaften vor, die zwar selbst keine Montanunternehmen mehr sind, jedoch einen Konzern beherrschen, in welchem (a) die Wertschöpfungsquote zumindest 20 Prozent im Montanbereich liegt oder (b) in dem mindestens ein Fünftel der ArbeitnehmerInnen in Montanunternehmen beschäftigt sind. In der Montanmitbestimmung gibt es zwei Besonderheiten: Zum einen gehört dem Aufsichtsrat neben den VertreterInnen der Anteilseigner und Arbeitnehmern ein neutrales Mitglied an und zum anderen ist in die Unternehmensleitung zwingend einE ArbeitsdirektorIn13 zu berufen und zwar nicht gegen die Stimmen der Mehrheit des Aufsichtsrates (§ 13 MontanMitbestG). Die Montanmitbestimmung ist demnach die stärkste und wirklich paritätische Form der Mitbestimmung.


Europ. Entwicklung

Im Folgenden ist der Blick auf die europäische Ebene zu richten. Neben der neusten Rechtsprechung des EuGH sind hier drei Richtlinien bzw. Richtlinienvorhaben näher zu betrachten.

Rechtsprechung des EuGH

Nach dem Motto „Niederlassungsfreiheit über alles“ hat der EuGH in letzter Zeit durch seine Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit – Art. 43, 48 EG – (Urteile: Centros14, Überseering15, Inspire Art16) nachhaltig zur Liberalisierung des Gesellschaftsrechts beigetragen. Kernaussage der Rechtsprechung ist, dass in einem Mitgliedsstaat wirksam gegründete Gesellschaften durch Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates nicht eingeschränkt werden dürfen, selbst wenn sie nur gegründet wurden, um strengere inländische Vorschriften zu vermeiden. Für ungültig erklärt wurde beispielsweise im Fall Inspire Art eine Regelung des niederländischen Rechts, wonach die Eintragung einer beantragten Zweigniederlassung einer in England errichteten Gesellschaft von der Erfüllung bestimmter Kapitalschutzvorschriften abhängig gemacht werden sollte. Hierin sah der EuGH einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit, der auch nicht durch wichtige Allgemeininteressen zu rechtfertigen sei.

Fraglich ist nun, welche Auswirkungen diese Rechtsprechung auf das inländische Recht der Mitbestimmung hat. Hier gilt es zunächst klarzustellen, dass der EuGH bisher in keiner Entscheidung explizit zum Mitbestimmungsrecht Stellung genommen hat. Trotzdem könnte die Rechtsprechung das deutsche Mitbestimmungsrecht durchlöchern.

Problematisch ist hier insbesondere die unter 3. bereits erläuterte Anknüpfung der Mitbestimmung an – ausschließlich deutsche – Gesellschaftsstatute. Aufgrund der Rspr. des EuGH ist es nunmehr möglich, um die Mitbestimmung zu umgehen, den Sitz einer britischen Private Limited Company (Ltd.) nach Deutschland zu verlegen, ohne vom deutschen Mitbestimmungsrecht erfasst zu werden. Damit geht die Frage einher, was gegen eine solche Praxis unternommen werden kann.

De lege ferenda könnte hier eine Sonderanknüpfung in Form eines neuen Mitbestimmungsergänzungs-gesetzes oder eine gänzlich rechts-formunabhängige Arbeitnehmerbeteiligung in Betracht gezogen werden. Die Niederlassungsfreiheit aus dem EGV stünde einer Anwendung der Mitbestimmung auf Auslandsgesellschaften jedenfalls nicht im Wege.17

Um vorzubeugen, dass das Schweigen des Gesetzgebers als stillschweigende Zustimmung zur Umgehung der Mitbestimmung gewertet wird, führt kein Weg an der Überarbeitung der deutschen Mitbestimmungsgesetze vorbei.18 Festzuhalten bleibt darüber hinaus, dass diese Rspr. neben einer konkreten Umgehungsmöglichkeit auch rechtspolitisch die Legitimation der Mitbestimmung in Frage stellt.


Europäischen Aktiengesellschaft (SE)

Ferner ist die Einführung der Societas Europaea (SE) eine bedeutende Neuerung im hier interessierenden Kontext der Mitbestimmung.19 Bei der europäischen Aktiengesellschaft handelt es sich um ein Uraltprojekt im Bereich des europäischen Gesellschaftsrechts, dessen Zustandekommen nicht zuletzt durch einen Dissens in der Mitbestimmungsfrage über 30 Jahre verhindert wurde.20

Auf der Grundlage des Davignon-Berichts von 1997 konnte für diese Frage schließlich ein Kompromiss gefunden werden.21 Maßgebend für die SE sind demnach zwei europäische Legislativakte, namentlich die Verordnung über das Statut der europäischen Gesellschaft (EG-Verordnung Nr. 2157/2001)22 sowie die SE-RL23, in der die Mitbestimmungsfrage geregelt ist. Dieses Modell – und das ist das wirklich Neue – setzt vorrangig auf eine Verhandlungslösung nach dem Vorbild der Richtlinie über Europäische Betriebsräte (94/45/EG). Kommt bei den Verhandlungen eine Einigung nicht zustande, werden die bestehenden Mitbestimmungsrechte in der sog. Auffangregelung (Art. 7 RL) grundsätzlich eingeführt. Der Inhalt der Auffanglösung folgt dem Prinzip des vollständigen Erhalts des erworbenen Mitbestimmungsniveaus.24 Dabei bezieht sich die Frage nach dem Niveau der Mitbestimmung allein auf die Beteiligungsquote in den Gesellschaftsorganen. Weitere Voraussetzung für die Auslösung der Auffangregelung ist, dass mindestens 25% bzw. 50% (je nach Gründungsart) der ArbeitnehmerInnen der neuen Gesellschaft vor der Gründung der SE der bisherigen höheren Mitbestimmung unterlegen haben25.

Im Ergebnis ist hinsichtlich der Beteiligung einer deutschen Gesellschaft an einer SE darauf hinzuweisen, dass eine „Flucht aus der Mitbestimmung“ aufgrund der gelungenen Auffangregelung eher unwahrscheinlich ist. Genau dieser Punkt wird von Arbeitgeberseite immer wieder als Nachteil der SE gebrandmarkt.26 Etwas anderes könnte sich nur aus einer geringeren Mitbestimmungsvereinbarung durch Verhandlungen ergeben.27 Auch ist die Rechtslage bei nachträglichen strukturellen Änderungen nicht eindeutig geklärt.28


10. Richtlinie zum Gesellschaftsrecht

Mindestens genauso bedeutsam wie die SE-RL ist die sog. 10. RL29 zum Gesellschaftsrecht (Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus den verschiedenen Mitgliedstaaten). Ähnlich wie die SE scheiterte eine Verabschiedung der 10. RL lange an einem Dissens in der Mitbestimmungsfrage.30 Die Einigung über die SE beflügelte sodann die Kommission einen weiteren Vorschlag für eine 10. RL vorzulegen.31 Mit einigen verschlechternden Änderungen, was die Mitbestimmungsregelungen betrifft, wurde der Vorschlag schließlich vom Ministerrat angenommen32. Nachdem der Vorschlag nun die zuständigen Parlamentsausschüsse (Recht, Beschäftigung) passiert hat, ist zu erwarten, dass er bis Ende Juni gänzlich verabschiedet wird. Danach haben die nationalen Gesetzgeber zwei Jahre Zeit, die Richtlinienvorgaben in nationales Recht umzusetzen.

Was das mitbestimmungsrelevante Regelungsprogramm anbelangt, knüpft die 10. RL an das SE-Modell an. Es sind jedoch auch Unterschiede auszumachen. So findet grundsätzlich die Mitbestimmungsregelung auf die neu gegründete Gesellschaft Anwendung, die für den Mitgliedsstaat gilt, in dem die aus der Fusion hervorgehende Gesellschaft ihren Sitz haben wird (Art. 14 I Entwurf). Verschmilzt also eine spanische mit einer britischen Gesellschaft und nimmt das neue Unternehmen seinen Sitz in Spanien, so findet keine Mitbestimmung statt, da in beiden Ländern keine Mitbestimmung existiert.

Dieses reine „Sitzlandprinzip“ gilt nicht, wenn in einer der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften mehr als 500 ArbeitnehmerInnen beschäftigt werden und ein System der Arbeitnehmermitbestimmung bestand (Art.14 II). Dann finden die Mitbestimmungsregelungen der SE-RL Anwendung.33 Wird dieses ausgelöst, kommt es zunächst zu Verhandlungen, bei deren Scheitern die Auffangregelung der SE eingreift. Damit gilt das weitestgehende System der Mitbestimmung der fusionierenden Gesellschaften. Beachtenswert sind allerdings die Modifizierungen des Mitbestimmungrechts in der 10. RL im Vergleich zur SE-RL. Dabei sticht zunächst ins Auge, dass bei der 10. RL die Auffanglösung nur eingreift, wenn mindestens ein Drittel der ArbeitnehmerInnen der aus der Fusion hervorgehenden Gesellschaft zuvor der weitergehenden Mitbestimmung unterlagen. Bei der SE lag dieser Wert lediglich bei 25 Prozent.34 Eine weitere negative Abweichung von der SE-Regelung ist die in dem Entwurf vorgesehene Möglichkeit, den Anteil der ArbeitnehmerInnen in einer Gesellschaft mit monistischem Board35 (üblich z.B. in Schweden, UK) auf ein Drittel zu begrenzen.36

An der 10. RL ist deutlich sichtbar, dass sich die SE-Regelungen bislang noch nicht zum allgemein anerkannten Mitbestimmungsstandard entwickelt haben. Wobei gerade hier einiges dafür gesprochen hätte, die SE-Regelungen auf die 10. RL zu übertragen.37 Durch die Absenkung der Beteiligungsstandards inspiriert, werden jetzt schon die ersten Rufe nach einer Anpassung der SE-Regelungen an das Niveau der 10. RL laut.38 Neben den rechtspolitischen Auswirkungen eröffnet die 10. RL auch ganz konkret Wege, die zu einem Unterlaufen – jedenfalls der paritätischen Mitbestimmung – führen können. Denn die paritätische Mitbestimmung in fusionierten Unternehmen mit deutscher Beteiligung wird voraussichtlich nur noch dort gelten, wo der Sitzstaat ein dualistisches System vorsieht.39


14. RL zum Gesellschaftsrecht

Schließlich ist noch auf die 14. Richtlinie zum Gesellschaftsrecht (Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung des Satzungssitzes) einzugehen. Wie die beiden vorher schon besprochenen Richtlinien zählt auch sie zu den etwas älteren Vorhaben, das ebenfalls aufgrund der nicht gelösten Mitbestimmungsfrage nicht vorangebracht werden konnte. Nach Angaben der Kommission wird an einer Überarbeitung der bisherigen Richtlinienvorschläge gegenwärtig mit Nachdruck gearbeitet. Hinsichtlich des Gegenstandes der Richtlinie ist zu unterscheiden zwischen der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft und einem identitätswahrenden Rechtsformwechsel.40 Da die erste Frage durch die oben schon erläuterte Rechtsprechung des EuGH bereits geklärt ist, konzentriert sich die Kommission gegenwärtig ausschließlich auf die Verlegung des Satzungssitzes. Die Kommission hat angekündigt, einen Vorschlag im Sommer bzw. Herbst 2005 zu veröffentlichen. Was die Mitbestimmungsregelungen angeht, sollte versucht werden den Standard der SE-RL wiedereinzuführen. Eine weitere Verbesserung, i.S. eines eigenständigen europäischen Mitbestimmungsrechtes, wird angesichts der politischen Großwetterlage indes kaum durchsetzbar sein.


Fazit

Zum Schluss ist jetzt die Frage zu stellen, welche Auswirkung nun tatsächlich von Europa auf das nationale Mitbestimmungsrecht ausgehen oder anders gefragt, wie konkret die beschriebenen Gefahren sind.

Was die Möglichkeit der Umgehung der Mitbestimmung, durch Ausnutzung der Gestaltungsspielräume, welche sich auf der einen Seite aus der Rspr. des EuGH und auf der anderen Seite aus den erläuterten Richtlinien ergeben, anbelangt, wird ein solcher Aufwand allein unter dem Ziel der Mitbestimmungsvermeidung unter ökonomischen Gesichtspunkten in keiner Weise zu rechtfertigen sein. Allerdings soll es in Unternehmerkreisen auch „knallharte MitbestimmungsvermeidungsideologInnen“ geben. Ob diese das Primat der Ökonomie zu verdrängen vermögen, sei hier in Frage gestellt. Fakt ist jedenfalls, dass für eine Standortentscheidung nicht die Frage nach der Mitbestimmung, sondern vielmehr andere Faktoren wie insbesondere das Steuersystem, die Absatzmärkte oder die vorhandene Infrastruktur den Ausschlag geben.

Ganz anders sieht es mit den rechtspolitischen Auswirkungen aus. Hier hat sich der Legitimationsdruck auf das deutsche Mitbestimmungsrecht erheblich erhöht.41 Dieses Problem wird sich zuspitzen, sollte es 2005 zu einem Regierungswechsel kommen. Mit dem BDA-Hauptgeschäftsführer Göhner als CDU-MdB wird es ein Leichtes sein, die CDU „auf Linie“ zu bringen. Um einen Abbau von Mitbestimmungsrechten jedoch zu verhindern, sind die besseren Argumente für die Mitbestimmung immer wieder hervorzuheben. Dabei ist als erstes zu untermauern, dass die Mitbestimmung keineswegs nur ein „deutscher Sonderweg“ ist, vielmehr gibt es in 18 der 25 EU-Länder Regelungen über die Beteiligung von ArbeitnehmerInnen in Unternehmensorganen.42 Auch konnte eine nachteilige ökonomische Auswirkung der Mitbestimmung bisher nicht ausgemacht werden. Vielmehr ist die produktivitätssteigernde Wirkung der Mitbestimmung inzwischen belegt.43 Gewerkschaftliche VertreterInnen aus den Aufsichtsräten zu verbannen, erscheint eine besonders kuriose Forderung, da sie doch die einzig verbliebenen unabhängigen VertreterInnen im Aufsichtsrat sind. Die fehlende „Unabhängigkeit“ der Aufsichtsorgane war ja bekanntlich genau die Ursache der großen Betrugspleiten US-amerikanischer Unternehmen wie ENRON.

Zu schließen ist der Beitrag mit einem Appell, einer weiteren Zurückdrängung von Arbeitnehmerrechten, entschieden entgegenzutreten. Vielmehr ist den Angriffen immer wieder das europäische Verständnis der industriellen Demokratie entgegenzusetzen. Ohne eine hinreichende Beteiligung von ArbeitnehmerInnen ist das jedoch nicht denkbar.

Johannes Heuschmid


zurück

1Michael Rogowski, Stern-Interview am 13.10.2004.

2Jüngst, FAZ vom 21.03.2005, S. 14.

3Bericht der Kommission Mitbestimmung von BDA und BDI vgl. www.bda-online.de; 12 Thesen zur Modernisierung der Mitbestimmung vom Berliner Netzwerk Corporate Governance vgl. http://www.rewi.hu-berlin.de/jura/ls/wbl/KurzfassungCorpGov.pdf (Mitglieder dieser Fakultät: Prof. Windbichler und Prof. Kirchner).

4Zur Vereinfachung wird im weiteren Text lediglich der Begriff Mitbestimmung benutzt, gemeint ist damit die Unternehmensmitbestimmung.

5Hueck/Windbichler, §1, Rn.10.

6RL 2001/86/EG Art. 2 lit.k: Mitbestimmung ist die Einflussnahme des Organs zur Vertretung der Arbeitnehmer und/oder der Arbeitnehmervertreter auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft durch die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen.

7Hueck/Windbichler, §1, Rn.10.

8Einen kompakten Überblick enthält: Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, Rn. 800ff; teilweise sehr kritisch, Hueck/Windbichler § 24 Rn. 9ff.

9Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, Rn. 827.

10Es wurde 1972 durch ein neues Betriebsverfassungsgesetz ersetzt, jedoch blieben Vorschriften zur Unternehmensmitbestimmung weiterhin in Kraft.

11Das durch § 29 II MitbestG gewährleistete Übergewicht der Anteilseigner hat bei der Prüfung des BVerfG hinsichtlich der Vereinbarkeit des MitbestG mit Art. 14 GG den Ausschlag gegeben, vgl. BVerfGE 50, 290ff.

12Montanindustrie: Kohle- und Eisenerzbergbau, eisen- und stahlerzeugende Industrie, vgl. § 1 II Montan-MitbestG.

13Der Arbeitsdirektor ist gleichberechtigtes Mitglied des Vorstandes und soll die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeitnehmer wahren, vgl. Hueck/Windbichler § 23, Rn.5.

14EuGH 9.3. 1999 Rs C-279/97, Slg. 1999 I-1459; ZIP 1999, 2027.

15EuGH 5.11.2002 Rs C-208/00 Slg. 2002 I-9919; ZIP 2002, 2037.

16EuGH 30.9.2003 Rs C-167/01.

17Group of German Experts on Corporate Law, ZIP 2003, 863 (877); Bayer, BB 2003, 2357 (2365); Thüsing, ZIP 2004, 381 (388) a.A. Müller-Bonanni, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 13 Rn.22.

18Bayer, AG 2004.

19Ein hervorragendes Kompendium an Informationen zur SE ist zu finden unter www.seeurope-network.org.

20Lutter, BB 2002, 1.

21Lutter, BB 2002, 1 (2f).

22Soweit eine Umsetzung in nationales Recht nötig war, wurde dies inzwischen durch das SE-Ausführungsgesetz (SEAG) bewerkstelligt.

23In nationales Recht durch das SE-Beteiligungsgestz umgesetzt (SEBG).

24Vgl. Erwägungsgrund 18, RL 2001/86/2001.

25Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1058.

26Lutter, BB 2002 1 (6); reglmäßig wird ein „Export der deutschen Mitbestimmung“ befürchtet.

27Nagel, AuR 2001, 406 (408).

28Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 1055; ZIP 2005, 277ff (zum SEBG).

29Inzwischen hat die Kommission die Auflistung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien eingestellt. Da diese Zählweise aber allgemein noch verbreitet ist, wird sie hier beibehalten.

30Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rn. 61.

31Mitbestimmungsregime KOM (2003) 703 endgültig. [Inzwischen wurde die 10. RL im Parlament in erster Lesung behandelt und es wird erwartet, dass sie demnächst vom Rat verabschiedet wird. - Anm.d.Red.]

32Politische Einigung des Rates für Wettbewerbsfähigkeit v. 25.11.2004.

33Wiesner, DB 2005, 91 (92).

34Hexel, Mitbestimmung, 1+2/2005, 56f.

35Es gibt zwei verschiedene Typen der Leitungsarchitektur eines Unternehmens. Zum einen das in Deutschland übliche dualistische Modell das aus einem Vorstand und einem diesen kontrollierenden Aufsichtsrat besteht. Zum anderen das monistische System in dem nur ein Verwaltungsrat existiert, der sich i.d.R. aus geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Mitgliedern zusammengesetzt ist.

36Hexel, Mitbestimmung, 1+2/2005, 56f.

37vgl. Position des EGB: http://www.etuc. org/a/842.

38Wiesner, DB 2005, 91 (94).

39Hexel, Mitbestimmung, 1+2/2005, 56f.

40Dadurch kann sich die Gesellschaft mit dem Wechsel des Satzungssitzes dem Recht eines anderen Mitgliedstaates unterwerfen ohne vorher aufgelöst werden zu müssen (vgl. Eidenmüller, JZ 2004 24 (32)).

41Jüngst, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Presseportal vom 19.4.2005; Schwark, AG 2004, 173 (177f); Thüsing, ZIP 2003, 381.

42Siehe: http://www.seeurope-network.org/

43Vgl. MPIfG Discussion Paper 04/8, http://www.mpi-fg-koeln.mpg.de/pu/mpifg_dp/dp04-8.pdf.