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Von Überdruss kann keine Rede sein!“

Ein Interview mit der neuen Vizepräsidentin für Lehre und Studium
an der HU, Prof. Susanne Baer



Prof. Baer studierte Rechts- und Politikwissenschaft an der FU, war bis 1993 wiss. Mitarbeiterin an der University of Michigan und promovierte 1995 zu dem Thema „Würde oder Gleichheit?“. Seit dem ist sie an der der HU tätig, wo sie 2002 zur Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien berufen wurde. Nun wird sie Vizepräsidentin. Wir sprachen mit ihr über ihr Amtsverständnis, die „P-Frage“, Studiengebühren und Gerechtigkeit.

 


Vor etwa drei Jahren wurden Sie auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien berufen, den sich die Juristische Fakultät und das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZTG) teilen. Die spannende Kombination dieses neuen Forschungsfeldes, seine disziplinäre Ausrichtung und institutionelle Anbindung geht nicht zuletzt auch auf Ihr Engagement zurück. Nun trennen Sie kaum mehr als 100 Tage von einem Neuanfang als Vizepräsidentin für Lehre und Studium der Humboldt-Uni. Sind Sie des Hochschullehrerinnendaseins so schnell überdrüssig geworden oder wenden Sie sich jetzt von der Theorie der Praxis zu?

Von Überdruss kann keine Rede sein! Ich bin mit Begeisterung an die Humboldt-Universität gekommen und werde hier auch begeistert bleiben – nur eben mit wechselnden Aufgaben. Lehre und Forschung zum Antidiskriminierungsrecht, zu Recht und Film oder zu wissenschaftstheoretischen Fragen werden am Lehrstuhl ja weiter betrieben werden, nur nicht von mir, sondern vom Team und denen, die meine Professur vertreten. Als Vizepräsidentin werde ich dann nicht mehr wie bisher forschen, aber mit einigen Sachfragen auch weiter zu tun haben. Hochschulzulassung ohne Diskriminierung, interdisziplinäres Studieren und forschende Lehre – das wird uns beschäftigen.


Prof. Jürgen Mlynek, der mit großem Aufwand wiedergewählte und nun doch unwillige Präsident der HU, hat sich sehr für Ihre Kandidatur eingesetzt. Bald jedoch wird die HU eine Karrierestufe hinter ihm liegen, wenn er am 6. Juni vom Senat der Helmoltz-Gemeinschaft, dem größten deutschen Forschungsverbund, zu deren Präsident gewählt wird. Damit hat er sicherlich auch Sie überrascht. Wie gehen Sie mit der ungeklärten Personalfrage im Präsidium um?

Bei ungeklärten Fragen empfiehlt es sich, sie besser und klarer zu stellen und dann auf gute Antworten zu hören. Eine Findungskommission ist dabei, geeignete Nachfolger oder Nachfolgerinnen zu suchen, ist also mit den Antworten betraut. Die etwas ungewöhnliche Situation, dass es nun schon gewählte Vizes gibt, legt es nahe, dass ich ebenso wie meine Kollegen, Herr Prömel und Herr Eveslage, an diesem Findungsprozess irgendwie beteiligt werden. Wichtig wird es sein, Personen von Gewicht für die HU zu gewinnen, die mit uns und mit denen wir dann auch konstruktiv arbeiten können.


Welche Persönlichkeit und Fähigkeiten sollte einE KandidatIn für das Amt der/des PräsidentIn mitbringen, um gut mit den Gremien und mit Ihnen als Vizepräsidentin zusammenarbeiten zu können?

Wie gesagt: Der Humboldt-Universität würde ein Mensch gut zu Gesicht stehen, der ein gewisses Gewicht in die hochschulpolitischen Debatten der Zukunft werfen kann. Da ist eine gute Mischung aus Erfahrung gerade in Fragen der Steuerung so sensibler Organisationen wie einer Hochschule, aus Reputation und Standing, aus wissenschaftlichem und politischem Profil gefragt. Und umgekehrt: Es ist eine ehrenvolle Herausforderung, die Humboldt Uni zu leiten. Dieser Aufgabe muss einE KandidatIn gewachsen sein – dann kann auch die Universität mit ihm oder ihr wachsen.


An der „P-Frage“ entzünden sich immer wieder jene hochschulpolitischen Grundsatzdebatten, die im Alltag der Tagesordnungen keinen Platz finden und auch bei Ihrer Wahl eine große Rolle gespielt haben. Gerade im Hinblick auf die anstehende Verfassungsreform stehen dabei Fragen der grundsätzlichen Ausrichtung der Hochschule und deren Leitung im Vordergrund. Welches Bild von Universität und Leitungskultur nehmen Sie sich zu Herzen, wenn Sie am 1. September Ihr neues Büro im Hauptgebäude beziehen?

Das Bild, welches dann ja Leitbild sein soll, zeichne ich ganz sicher nicht allein. Die forschende Lehre und das lernende Forschen vielleicht ... Da träume ich von einem Humboldt´schen Kontrakt, in dem sich Lehrende und Studierende wechselseitig verpflichten, wissenschaftlich miteinander zu arbeiten, also Erwartungen aneinander formuliert und Leistungen füreinander zugesagt werden. Und ganz konkret? Oben auf der Liste steht die Studienreform, denn ich bin überzeugt, dass Bologna einen Prozess in Gang gesetzt hat, der sich produktiv nutzen lässt, aber da müssen wir noch arbeiten. Dann müssen wir ein machbares und gerechtes Verfahren zur Zulassung zum Studium finden. Und die Gebührenfrage werden wir intensiv debattieren müssen.


In No. 9/2005 des Stadtmagazins zitty äußerten Sie sich zum Thema Studiengebühren dahingehend, dass Sie grundsätzlich nichts gegen die Beteiligung der Studierenden an ihren Bildungskosten haben, wenn dies gerecht geschieht. Wie das?

Es werden ja zahlreiche Modelle diskutiert. Entscheidend wird es sein, die Abschreckungseffekte zu kompensieren, die mit der Einführung jeder Gebühr einhergehen und folglich sehr offensiv für Studierende zu werben, die – etwas salopp gesagt – nicht reich, sondern talentiert und engagiert sind. Umgekehrt spricht nichts dagegen, wenn Menschen in ihre Bildung investieren, soweit sie dies können. Modelle, in denen Berufstätige an die Institution zurückzahlen, die sie ausgebildet und gebildet haben, sind insofern sehr interessant.


Legt man der Diskussion um den Wert von Bildung nicht nur einen individuellen, sondern auch einen volkswirtschaftlich-gesellschaftlichen Nutzenbegriff zugrunde, stellt sich die Frage, warum nicht auch andere Mitglieder der Gesellschaft für die Bildungskosten derjenigen aufkommen sollen, von denen sie profitieren. Ließe sich das Ausstattungsproblem der Hochschulen folglich nicht auch durch eine intelligente, einkommensorientierte Besteuerung lösen, die Gerechtigkeitsdefizite auszugleichen versteht?

Eine intelligente Besteuerung wird ja nun allenthalben gesucht, ist aber gerade ein Mittel, nicht zweckgebunden, sondern allgemein zu finanzieren. Insofern sprechen Sie wohl eher von einem Steuersystem, das es uns ermöglicht, auch öffentliche Hochschulen noch ausreichend zu finanzieren. Jeder Versuch in dieser Richtung ist nur zu begrüßen. Lösen wird er das Problem der Unterfinanzierung der Berliner Universitäten ganz sicher nicht.


Auch ohne Studiengebühren ist ein gleicher Zugang zum Hochschulstudium keineswegs gewährleistet. Jugendliche aus bildungsfernen Schichten haben ebenso schlechte Chancen wie Jugendliche mit Migrationshintergrund oder atypischen Biographien. Sehen Sie im neuen Hochschulzulassungsgesetz Möglichkeiten, dieses Problem anzugehen?

Das Gesetz gibt der Hochschule Möglichkeiten, die wir nutzen können. Da ist allerdings nicht nur die Frage zu beantworten, wen wir uns hier als Studierende wünschen, sondern auch die Frage, wie wir Auswahlprozesse organisieren. Die individuellen Gespräche, von denen manche träumen, sind weder durchführbar noch fair, und Assessment-Verfahren wohl auch nicht passend. Ich denke in Richtung anonymisierter Verfahren, in denen weder Geschlecht noch Herkunft noch Alter eine Rolle spielen können, die es aber ermöglichen, Individualität und Engagement wirken zu lassen. So sollten Menschen zum Beispiel Abiturnoten ebenso erklären dürfen wie ein spezieller Studienwunsch insbesondere auf der Master-Ebene begründungsbedürftig ist, um Plätze gerecht verteilen zu können. Aber wie gesagt: Da haben wir noch eine Menge zu tun.


Welche Konsequenzen ergeben sich für den Lehr- und Forschungsbetrieb an der Juristischen Fakultät und dem Zentrum für transdisziplinäre Forschung durch Ihren Wechsel?

Für die Lehre in den Gender Studies und in den Rechtswissenschaften werde ich junge Nachwuchswissenschaftlerinnen gewinnen, die innovative Impulse an die Fakultät und das Zentrum bringen. Das Team des Lehrstuhls will das Informationsangebot auf unserer Website zum Antidiskriminierungsrecht und transdisziplinären Fragen aufrechterhalten. Und das Zentrum für Geschlechterstudien ist bei Christina von Braun als Sprecherin in besten Händen.


Frau Baer, wir bedanken uns ganz herzlich für das Interview.




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