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Rote Roben gegen braunen Mief
Das
Bundesverfassungsgericht als "Hüter der Verfassung" gegen
den braunen Sumpf in der jungen Bundesrepublik Deutschland
Das BVerfG sollte ein starkes Gericht werden, welches "Rechtsverwüstungen",
wie sie in der NS-Zeit zu gegenwärtigen waren, verhindert1.
Die Stärke des Gerichts begründet sich vor allem auf die Bindungswirkung
seiner Entscheidungen gem. § 31 BVerfGG.
Der BGH sah sich jedoch am 20.05.1954 nicht in der Lage, dieser Verbindlichkeit
bezüglich eines Urteils des BVerfG vom 17.12.1953 die notwendige
Beachtung zu schenken.
Vorgeschichte - Das 131er Gesetz (G 131)2
Das G 131 war ein direkter Ausfluß aus Art. 131 GG. Es hatte die
Integration ehemaliger NS-Beamter in den öffentlichen Dienst zum
Inhalt. Danach erhielten diese einen Rechtsanspruch auf Wiedereinstellung
und ein Recht auf die Nachzahlung von Bezügen, die ihnen durch die
Zeit der Nichtanstellung entgingen. Im G 131 wurde festgeschrieben, daß
in der öffentlichen Verwaltung mindestens 20% alte Nazis beschäftigt
werden müssen. Da Beamtenstellen Anfang der 50er Jahre rar waren,
wurde die ehemalige Mitgliedschaft in der NSDAP praktisch zu einer wesentlichen
Einstellungsvoraussetzung. Eine Gruppe der NS-Beamten blieb jedoch außen
vor: die Gestapo-Beamten.
Das 131er Urteil des BVerfG3
In dem G 131 Urteil waren mehrere Verfassungsbeschwerden von ehemaligen
Gestapo-Beamten gegen das G 131 zu behandeln. Die "ehrenwerten"
Damen4 und Herren fühlten sich vor
allem in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt.
Das BVerfG wies diese Verfassungsbeschwerden als unbegründet zurück.
Kern der Begründung war die Feststellung, daß "alle Beamtenverhältnisse
[...] am 8. Mai 1945 erloschen" sind (S. 58).
Das Gericht führte aus, daß der Staat eine "Machtapparatur
im Dienst des Volkes" sei, der Volkswille im NS-Staat jedoch lediglich
von einer Partei bestimmt wurde. Der Staat war also ein Werkzeug der NSDAP
und diese ein Werkzeug des "Führers". Da der "Führer"
den Staat in den Krieg führte, konnten die Alliierten nicht nur eine
Besiegung des Reiches anstreben, sondern sie mußten den NS-Staat
vollständig zerstören. Dieses Ziel war am 08.05.1945 im Wesentlichen
erreicht (S. 85-87). Der Staat als solcher ging damit unter und mit ihm
erloschen alle Beamtenverhältnisse. Damit stellte sich das Gericht
gegen die absolut vorherrschende Meinung der Lehre und Rechtsprechung,
die am 08.05.1945 einen bloßen Wechsel der Staatsform ausmachten.
Diese Auffassung nannte das Gericht zutreffend eine "Verharmlosung
der Ereignisse" (S. 85).
Seine Argumentation unterlegte das Gericht mit zahlreichen Publikationen
von NS-Juristen. Dadurch macht das Gericht deutlich, wie sehr das Beamtenrecht
von nationalsozialistischem Gedankengut durchdrungen war, die Beamten
lediglich als Diener des "Führers" betrachtete und das
Beamtentum als Pfeiler des Staates (S. 90, 99, 101). Weitere wesentliche
Beweismittel waren Dokumente der Alliierten. Da nun ein Fortbestehen der
Beamtenverhältnisse verneint wurde, mußte das G 131 lediglich
auf Entschädigungsansprüche etc. reduziert werden. Ein Anspruch
auf Wiedereinstellung wäre nicht gerechtfertigt.
Entrüstung in der JuristInnenschaft und der Öffentlichkeit
Das genannte Urteil stieß auf nahezu einhelligen Protest in der
JuristInnenschaft5. Es wurde zum Beispiel
das "Rechtsbewußtsein des Staatsbürgers" ins Feld
geführt, der ein solches Urteil niemals anerkennen würde6.
Für den Kanzler war soundso alles klar: "die Bundesrepublik
Deutschland [ist] mit dem Deutschen Reich identisch"7.
Für "Die Zeit" war das Urteil schon deshalb ein Skandal,
weil unter den Beweisen auch eine Deklaration des sowjetischen Hauptquartiers
zu finden war. "Soll so etwas jetzt Rechtsquelle deutscher Gerichte
werden ..." empörte sich das Blatt. Zudem könnte sich -
wenn das Urteil ernst genommen würde - die Bundesregierung weder
um die Oder-Neiße-Linie(!) noch um das Saargebiet kümmern.
Und überhaupt und sowieso seien die Dokumente der Alliierten schließlich
solche eines Okkupationsheeres und damit ihrer Natur nach Gewaltakte8.
Die deutsche JuristInnenschaft und Öffentlichkeit fühlte sich
dem "Deutschen Reich" noch sehr nahe.
BGH widersetzt sich - ein seltenes Beispiel juristischer "Auflehnung"
Am 20. Mai 1954 erging ein Urteil des BGH indem er die Bindung der G
131er Entscheidung des BVerfG schlicht nicht anerkennt - der BGH widersetzt
sich der Entscheidung des BVerfG9.
Der BGH stellte sich in dem Urteil die Frage, ob er überhaupt an
das G 131 Urteil gem. § 31 BVerfGG gebunden sei (S. 271). So sehr
er sich aber auch bemüht, an der grundsätzlichen Bindung führt
kein Weg vorbei. Also beschränkt der BGH die Bindungswirkung zunächst
allein auf die Urteilsformel. Die Entscheidungsgründe oder auch nur
die tragenden Gründe für die Urteilsformel seien dagegen unbeachtlich
(S. 277).
Nun fragt der BGH nach der Tragweite dieser Bindungswirkung und erklärt
dabei ausführlich, daß diese Tragweite sehr eng auszulegen
sei (S. 278 ff.). Schließlich kommt der BGH zu dem Schluß,
daß die Bindungswirkung nur dann zum Tragen kommt, wenn die Sachverhalte,
welche dem Urteil des BVerfG zugrunde lagen, exakt denen gleichen würden,
welche dem Urteil des BGH zugrunde lagen (S. 290). Damit war die Bindungswirkung
des G 131 Urteils vom Tisch. Warum der BGH zuerst lange Ausführungen
zur Einschränkung der Bindungswirkung macht, wenn er danach feststellt,
daß diese Ausführungen überflüssig sind, ist nicht
ganz ersichtlich. Vielleicht war den Herren Richtern - fast alle schon
unter dem NS-Regime aktiv10 - bei diesem
Akt der "Auflehnung" doch nicht ganz wohl und sie versuchten
dieses Unwohlsein durch einen Pseudo-Argumentationsaufwand zu kompensieren(?).
Aber wie auch immer, nun war der Weg frei für eine ungebundene Argumentation
des BGH. Es wird schnell klar, worum es geht: "Ein automatisches
Erlöschen der Beamtenverhältnisse kann [...] weder für
die am 8. Mai 1945 noch im Dienst gewesenen Beamten noch für diejenigen
Personen angenommen werden, die in diesem Zeitpunkt bereits beamtenrechtliche
Versorgungsempfänger waren." und Deutschland sei als Staat nicht
untergegangen (S. 292). Dabei konnte sich der BGH auch auf ein Urteil
des BVerfG berufen. Das BVerfG ist nämlich (vermutlich) der massiven
"Kritik" an seinem G 131 Urteil erlegen. So sagt es am 26.02.1954,
daß das Deutsche Reich weiter besteht und das G 131 Urteil ein Mißverständis
gewesen sei. Es sollte lediglich dargestellt werden, daß es solche
Auffassungen vom Untergang Deutschlands am 8. Mai 1945 gäbe. Damit
sollte jedoch nur der "Umfang des deutschen Zusammenbruchs"
deutlich gemacht werden11. Die Lektüre
des G 131 Urteils widerspricht jedoch dieser Mißdeutungstheorie.
Der BGH konnte sich also auf dieses Umkippen des BVerfG berufen. Weiterhin
berief sich der BGH auf Juristen wie: Städter (Amtsgerichtsrat im
NS-Staat und Unterzeichner einiger haarsträubender Todesurteile12)
oder Scheuner (neben Larenz, Maunz, Forsthoff usw. einer der Rechtsgelehrten,
der die nationalsozialistische "Rechtsordnung"" mit prägte13),
um die Rechtsfolgen der "Kapitulation" auf rein militärisches
Gebiet zu beschränken (S. 293).
Trotz der penetranten Verleugnung des Untergangs des Deutschen Reiches
blieb noch das Problem der Demontage des Beamtentums im NS-Staat. Das
BVerfG legte in seinem Urteil ausführlich dar, daß die Beamtenverhältnisse
im NS-Staat durch die totale Entrechtung und Gleichschaltung des Beamtentums
und den Schwur auf Hitler keine Beamtenverhältnisse im traditionellen
Sinne waren und somit auch nicht als solche fortbestehen könnten.
"Diener des Führers" konnten beim besten Willen nach dem
08.05.1945 nicht fortbestehen.
Für den BGH lag der Kern des Beamtentums in der Verpflichtung gegenüber
dem Staat. Dies sei aber auch bei den NS-Beamten gegeben. Der Schwur auf
Hitler galt schließlich nicht der Person, sondern dem "obersten
Staatsorgan" und die Bindung an die NSDAP war schließlich eine
Bindung an eine "politische Mehrheitsentscheidung der Nation"
(S. 299).
Und überhaupt: Die deutschen Beamten haben unter dem NS-Unrecht gelitten.
Durch ihre Entrechtung und Gleichschaltung seien sie Opfer des NS-Unrechts.
Und nun will das BVerfG diesen Opfern noch einmal zusetzen. Da ist der
BGH schnell mit der Vermutung der Kollektivhaftung zur Stelle und beschwört
den Rechtsstaat (S. 298). Aber dank des BGH gibt es den Rechtsstaat noch
und zwar maßgeblich mitgestaltet von treuen deutschen Beamten, die
im NS-Staat so gelitten haben. Die wirklichen Opfer konnten nicht mit
so viel Mitgefühl seitens der Gerichte rechnen. Sie waren nicht selten
auch in der BRD erneut Opfer bzw. erhielten keinerlei Entschädigungen
für ihr erlittenes Unrecht ...14.
Fazit
Das stärkste Verfassungsgericht der Welt15
konnte sich gegen den BGH nicht durchsetzen.
In einer weiteren Entscheidung reagierte das BVerfG zwar sehr deutlich
auf die geäußerte Kritik an der G 131 Entscheidung, dies änderte
aber nichts an der faktischen Mißachtung des Gerichts durch den
BGH. Auf den Vorwurf, das Gericht habe nicht rechtswissenschaftlich sondern
sozialwissenschaftlich argumentiert, weil eine rechtswissenschaftliche
Argumentation mangels wissenschaftlicher Arbeiten zum Beamtenrecht im
NS-Staat ("weißer Fleck") nicht möglich sei16,
entgegnete das Gericht: "Ein solcher 'weißer Fleck' ist nicht
vorhanden [...]. Das Gericht konnte sie [die in BVerfGE 3, 58 verwendeten
Zitate von NS-Juristen] nicht ohne weiteres als 'Lügen' oder 'Unsinn'
oder 'krausses Zeug' abtun - schon deshalb nicht, weil sie zu einem wesentlichen
Teil von Verfassern stammen, die auch jetzt das Beamtenrecht wissenschaftlich
behandeln, und weil kein Grund ersichtlich ist, ihren damaligen Ausführungen
weniger wissenschaftlichen Ernst zuzuerkennen als den heutigen."17.
Diese festgestellten personellen Kontinuitäten vom NS-Staat hinein
in die Bundesrepublik Deutschland waren vermutlich der Hauptgrund, weshalb
das G 131 Urteil keine Chance zum Durchbruch hatte. Der Aufbau der BRD
durch "ehemalige" Nazis18
war in vollem Gange ...
Volker Gerloff
1 Uwe Wesel, Die Hüter der Verfassung, S.
16
2 BGBl. 1951, I S. 307 - Novellierung: BGBl. 1953, I S. 980
3 BVerfGE 3, 58 - alle folgenden Zitate dieses Abschnitts
mit bloßer Nennung einer Seitenzahl sind solche aus BVerfGE 3, 58
4 Witwen verstorbener Gestapo-Beamter
5 Ingo Müller, Furchtbare Juristen, S. 209
6 Walther Kühn (MdB - FDP) in: Allgemeiner Beamtenschutzbund
e.V. - Die Karlsruher Urteile zu Gesetz 131, 2. Auflage (1954) - Heft
1, S. 67
7 Konrad Adenauer in: siehe Fn 10 - Heft 1, S. 70
8 "Die Zeit" in: siehe Fn 9 - Heft 1, S. 96 f.
9 BGHZ 13, 265 - alle folgenden Zitate dieses Abschnitts mit
bloßer Nennung einer Seitenzahl sind solche aus BGHZ 13, 265
10 I. Müller, Furchtbare Juristen, S. 209
11 BVerfGE 3, 288, 319 f.
12 I. Müller, Furchtbare Juristen, S. 174 f, 215
13 I. Müller, Furchtbare Juristen, S. 238
14 aber das ist ein anderes Thema z.B. in: I. Müller,
Furchtbare Juristen, S. 233 ff.
15 U. Wesel, Fast alles, was Recht ist., S. 66
16 BGHZ 13, 265, 299
17 BVerfGE 6, 132, 167
18 natürlich waren das alles zackige Demokraten geworden!!!
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