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"Männer und Frauen sind gleichberechtigt"
61 Verfassungsväter und 4 Verfassungsmütter lieferten sich
am 18. Januar 1949 im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates
eine erregte Debatte. Anlaß war der nun schon zum dritten Male zu
befassende Antrag von Elisabeth Selbert, der da lautete: "Männer
und Frauen sind gleichberechtigt". Zweimal bereits abgelehnt, stand
ihre Gesetzesvorlage aufgrund der heftigen Proteste in der Öffentlichkeit
erneut zur Diskussion. Waschkörbeweise waren tagtäglich Eingaben,
Solidaritätsadressen, Forderungen und Protestschreiben im Tagungsgebäude
des Gremiums für die Vorbereitung des Grundgesetzes ausgeleert worden.
Der erste Entwurf für den Gleichheitsartikel war schlicht: "Alle
Menschen sind gleich". Vorsichtig wurde darauf aufmerksam gemacht,
daß dieser absolute Gleichheitssatz irgendwie mit der Frauenfrage
kollidierte1 und so hieß dann
der Gegenantrag zur Selbertschen Fassung seitens der CDU: "Männer
und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.".
Hier ging es nicht um Wortklauberei, sondern um sehr unterschiedliche
Rechtsfolgen: aufgrund des CDU-Entwurfs wurde Frauen lediglich das Wahlrecht
und die Zulassung zu öffentlichen Ämtern gewährt, während
die Annahme des Selbertantrages zur Folge hatte, daß grundsätzliche
Bestimmungen des Familienrechts wegen Verfassungswidrigkeit geändert
werden mußten.
Die CDU konnte sich gegen die Mehrheit von SPD, KPD und FDP nicht durchsetzen.
Die Gleichberechtigungsformel wurde Teil des Grundgesetzes.
Im Gegensatz zu den Grundrechten der Weimarer Verfassung sind jene des
Grundgesetzes gem. Art. 1 III GG bindend für Gesetzgebung, Verwaltung
und Rechtsprechung. Demzufolge mußte nun eine Angleichung der einfachen
Gesetzgebung an den Verfassungsgrundsatz stattfinden; dieser vollzog sich
jedoch schleppend und oftmals unzureichend.2
Kein Wunder, denn wie kein anderer Berufs- und Wissenschaftszweig war
die Jurisprudenz Männerdomäne (sie ist es heute noch). Erst
1922 hatten Frauen Zugang zu juristischen Berufen erlangt und 1933 wurden
sie auch schon wieder herausgedrängt. So kam es, daß Regelungen
wie der "Stichentscheid" des Mannes (die letzte Entscheidung
in allen Fragen, die das gemeinschaftliche Leben und die Kindererziehung
betrafen), die Bestimmung, daß der Nachname des Ehemannes der Familienname
wird, oder die Verpflichtung der Ehefrau zur Mitarbeit im Geschäft
des Mannes noch bis in die fünfziger Jahre galten.
Überhaupt hielt das BGB von 1900 ganz besonders ausgefeilte Regelungen
bereit, um die (männliche) Vorstellung über die Rollenverteilung
der Geschlechter rechtlich zu zementieren. So besagte der § 1356
BGB, daß Frauen den Haushalt in "eigener Verantwortung"
zu führen hätten und nur dann zur Erwerbstätigkeit berechtigt
seien, wenn dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar sei.
Falls dem nicht so war, sah § 1358 vor, daß der Ehemann unter
Einschaltung des Vormundschaftsgerichts das Arbeitsverhältnis seiner
Frau ohne Kündigungsfrist lösen konnte. Diese Regelungen waren
gültig bis 1957.3 Eine endgültige
Familienrechtsreform fand erst 1975 statt.
Fraglich war natürlich, in welchem Verhältnis der zweite Absatz
des Art. 3 GG zum Dritten stand; Art. 3 III GG enthält bereits ein
Diskriminierungsverbot. Die herrschende Meinung und die Rechtsprechung4
zogen daraus den Schluß, der zweite Absatz enthielte ein allenfalls
sprachlich nuanciertes, aber identisches Diskriminierungsverbot. Das diese
Doppelung den zweiten Absatz praktisch ins Leere laufen läßt,
wurde ignoriert.
Art. 3 II GG galt als absolutes Differenzierungsverbot, das Ungleichbehandlungen
die mit dem Geschlecht begründet wurden, verbietet. Einzige Ausnahme
für eine gerechtfertigte Differenzierung war das Vorliegen von "objektiv
biologischen und funktionalen Unterschieden, die den Lebenssachverhalt
so entscheidend prägen, daß sie eine Differenzierung zwingend
erforderlich machen"5. So ist
beispielsweise eine auf Frauen zugeschnittene Regelung wie der "Schwangerschaftsurlaub"6
gerechtfertigt, weil dies eine Differenzierung aufgrund des biologischen
Unterschiedes ist.
Was aber sind funktionale Unterschiede? Es stellte sich heraus, daß
dieses kein geeignetes Ausnahmekriterium sein kann. Denn im Ergebnis führte
das dazu, daß nicht nur ihre schwächere Konstitution, sondern
auch die Tatsache, daß sie die Betreuung von Kleinkindern und die
Verrichtung der Hausarbeit zu übernehmen hätten, die die spezielle
Belastung von nächtlicher Arbeit nicht zumutbar mache.
Natürlich ist es richtig, daß die meisten Frauen immer noch
die typischen Arbeiten übernehmen und vor allem jene, die mit dem
Aufziehen von Kindern zu tun haben.7
Der springende Punkt ist nur, daß hier eine Ungerechtigkeit, nämlich
ein Arbeitsverbot (das zur Folge hatte, daß Frauen nicht in gleichem
Maße die Möglichkeit hatten, über ihre Arbeitszeit frei
zu disponieren und sich Nachtarbeitszuschläge zu verdienen), mit
einer anderen Ungerechtigkeit, nämlich der ungleichen Rollenverteilung
zwischen den Geschlechtern (das sicherlich nicht ihren "Wesen"
entspricht, sondern vielmehr einem traditionierten Verhaltensdogma) zu
Ungunsten der Frau begründet wurde. Das Bundesverfassungsgericht
hat dies auch so gesehen und die Regelung für verfassungswidrig erklärt.8
Was aber macht nun den Unterschied aus, zwischen dem zweiten und Dritten
Absatz des Gleichheitsartikels? Wann ist Differenzierung vonnöten
und wann nicht? Ist Ungleichbehandlung gerechtfertigt, wenn reale Unterschiede
bestehen, und wenn ja, wann? Worin besteht die Differenz? Gibt es eine
wesenhafte Unterschiedlichkeit zwischen Männern und Frauen und wie
ist sie im Recht zu berücksichtigen? Welche Rolle spielt das Recht
im Ausgleich oder im Bewahren "tatsächlich" bestehender
Unterschiede?
Um "irgendwie" an dem aus der französischen Revolution
entspringenden scheinbar universellen Gleichheitsgedanken teilzuhaben,
insistierten die Vorsprechenden Frauenrechtlerinnen in der Weimarer Zeit
zunächst auf eine wesenhafte Gleichheit mit Männern. Dazu muß
angemerkt werden, daß Frauen von diesem Gleichheitsgedanken von
vornherein nicht mitgemeint waren und in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts sich um nichts mehr Mühe gegeben wurde, um dieses "objektiv"
zu begründen. Die "Natur" der Frau, ihr Ausgeliefertsein
an biologische Prozesse wie Menstruation, Schwangerschaft und Klimakterium
war - "wissenschaftlich" - Grund genug, um ihnen die Berechtigung
zum Dasein als "citoyen", nämlich als mündigen Bürger,
fähig zur Selbstbestimmung aus rationalem und vernünftigem Denken,
zu versagen.
Insofern darf die Durchsetzung eines geschlechtsneutral formulierten
Rechts mit dem Differenzierungsverbot, also die formale Angleichung der
Rechtsposition der Frauen an die der Männer, als Erfolg gewertet
werden. Dennoch ist mit diesem nur die Spitze des Eisberges, der über
Jahrhunderte gewachsenen ungleichen Verteilung von Recht, gesellschaftlicher
Positionierung und Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern,
abgetragen.
Denn was ist, wenn reale, weil soziale und gesellschaftliche Unterschiedlichkeiten
und Benachteiligungen bestehen? Kann, darf, muß und sollte der Gesetzgeber
über diese hinwegsehen? Was, wenn die rechtlichen Regelungen, für
männliche Lebensentwürfe konzipiert, auf Frauen übergestülpt
einfach nicht greifen, nicht passen, kneifen wie eine Uniform in der falschen
Größe? Alle Tarifverträge und Arbeitsschutzbestimmungen
waren auf den Vollzeitarbeitnehmer ausgerichtet. Und wenn Frauen nebenher
eben noch ein paar Kinder erziehen mußten (oder müssen) und
die Familie versorgen und deshalb nur halbtags arbeiten können? Was,
wenn Frauen weiterhin vor der Entscheidung stehen, ob Karriere ODER Familie,
die sich Männern so nicht stellt? Was, wenn Frauen immer noch weniger
die Möglichkeit haben, sich in bestehenden Machtstrukturen mit dem
geeigneten Sebstverständnis zur Geltung zu bringen?
Der Frauenanteil der Studierenden in Deutschland lag im Wintersemester
98/99 bei 44,5%. Frauen machen die besseren Abschlüsse. Der Anteil
der Professorinnen lag demgegenüber bei 4-5%9,
bei den Rechtswissenschaften bei 3%. Der Anteil von Frauen in Managementpositionen
lag 1995 bei 0,52%.10 Das Kariere
machen mehr erfordert als bloße "objektive" Leistung,
dürfte weitestgehend bekannt sein. (Aufmerksam gemacht werden soll
an dieser Stelle auf den quantitativen Anteil von Frauen in unserer Bundesregierung,
die alle auch die "weichen" Ressorts bekleiden.)
Insoweit ist es wichtig zu sehen, warum der zweite Absatz des Art. 3
GG zusätzlich zum dritten formuliert wurde. Gleichberechtigung ist
nicht lediglich eine Norm, die geschlechtsspezifische Regelungen generell
ausschließen soll und auf beide Geschlechter in gleicher Weise anzuwenden
ist. Das Verhältnis von Mann und Frau ist aufgrund jahrhundertelang
gewachsener Tradition von Ungleichverteilung und -berechtigung geprägt.
Es handelt sich also um ein ganz spezielles Verhältnis, das jeweils
immerhin zwei Hälften der Bevölkerung betrifft. "Frauen
und andere Minderheiten" kann es daher nur heißen, weil Minderheit
auch qualitativ gedacht werden kann. Deshalb erkannte auch das Bundesverfassungsgericht
in der Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot den "über das Diskriminierungsverbot
des Art. 3 III GG hinausgehenden Regelungsgehalt von Art. 3 II GG darin,
daß er das Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auf die
gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt".11
Art. 3 II GG ist somit als Verfassungsauftrag zu verstehen. Nach einer
Ansicht ist damit ein kollektives Förderungsgebot zugunsten von Frauen
gegeben12, was aber wegen der
individualrechtlichen Ausrichtung der Grundrechte umstritten ist. In jedem
Falle ist Art. 3 II GG jedoch als individualrechtliches, aber gruppenbezogenes
Dominierungsverbot zu interpretieren.13
Dem wurde 1994 explizit durch den zweiten Satz Rechnung getragen. "Der
Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung
von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender
Nachteile hin". Diese Bestimmung wurde durch die Verfassungsreform
1994 angefügt.
Art. 31 I und 2 EV14 hatten die
Aufgabe gestellt, die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung von Mann und
Frau weiterzuentwickeln und die Rechtslage unter dem Gesichtspunkte der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten.15
Allerdings war auch das nicht einfach. Im Entwurf der ersten Verfassungskommission
der Länder fand ein Zusatz nicht die nötige zwei Drittel Mehrheit.
Wohl aber das Vorhaben, die Worte "Männer" "Frauen"
im Art. 3 II 1 GG umzustellen, da dies "als Ausdruck der Erkenntnis
gesehen werden [könne], daß in den vergangenen vierzig Jahren
mehr staatliches Handeln mit dem Ziel, die Gleichstellung der Geschlechter
zu fördern, vonnöten gewesen wäre. Die vorgeschlagene Reihenfolge
[könne] überdies als wertneutrale, nämlich alphabetische
Reihenfolge betrachtet werden."16
Dieser Vorschlag ist als "Treppenwitz der Rechtsgeschichte"
bezeichnet worden. Die Verfasserin enthält sich einer weitergehenden
Kommentierung.
Die durch Bundestag und Bundesrat dann eingesetzte gemeinsame Verfassungskommission
einigte sich schließlich auf die genannte Formulierung. Allerdings
wird damit lediglich ein allgemeines Ziel formuliert; konkrete Vorgaben,
wie die "tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung"
bewirkt werden könne, werden nicht gemacht. Art. 3 II 2 GG wirkt
somit als Ermächtigung für Förderungsmaßnahmen und
erklärt diese für verfassungsrechtlich zulässig. Zum Beispiel
solche, nach denen, bis zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen
in den betreffenden Berufszweigen bei gleicher Eignung, grundsätzlich
eine Frau einzustellen ist.
Mittlerweile haben alle Länder Frauenförderungsgesetze, in
denen eine solche Entscheidungsquote verankert ist. Doch sind mit diesem
Typ Quote (eine Alternative wäre die Ergebnisquote) bisher nicht
sonderlich große Erfolge zu verbuchen. Denn was "gleiche Eignung"
und "gleiche Qualifikation" sind, das entscheiden meistens -
ganz objektiv und rational - immer noch Männer.
Von dem bloßen Aufstellen des Gleichberechtigungsgrundsatzes und
seiner Verwirklichung liegen immer noch Welten. Und tatsächlich wäre
es eine andere Welt: Eine Welt, in der Gleichberechtigung Realität
ist, ist vielleicht Utopie. Oder eine schwer denkbare aber erkämpfenswerte
Vision.
Kristina Stolterfoht
-
vgl. Barbara Degen, "Gleichberechtigung"
oder Von der Schwierigkeit, Utopien zu regeln zurück
-
vgl. Martina Weber, Dem Reich der Freiheit
werb ich Bürgerinnen, Forum Recht - Erstsemesterheft zurück
-
Weber, FoR - Erstsemesterheft zurück
-
BVerfGE 39, 169 (185); 43, 213 (215);
Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 3; Stein, Art. 3 Fn 101, Rn 74; Gubelt,
Art. 3 Rn 82, 95 zurück
-
BVerfGE 6, 389 (422) zurück
-
auch scheinbar harmlose Formulierungen
können diskriminierend sein; Mütter machen keinen Urlaub!
zurück
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Einer Umfrage von 1994 (!!!) zufolge übernehmen
90% aller Frauen in deutschen Haushalten das Wäschewaschen, 88%
das Essenmachen, 71% das Geschirrspülen. Quelle: Süddeutsche
Zeitung vom 15.5.99, Beilage "jetzt" zurück
-
BVerfGE 85, 191 zurück
-
Statistisches Bundesamt, zitiert aus:
Süddeutsche Zeitung, 15.5.99, Beilage "jetzt"
zurück
-
Horst Dreier, GG-Kom, Tübingen 1996,
Art. 3 Abs. 2 Rn 87 zurück
-
BVerfGE 85, 191 (207) zurück
-
Vera Slupik, Die Entscheidung des Grundgesetzes
für die Parität im Geschlechterverhältnis, 1998, S.
77 ff. zurück
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Ute Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung,
Baden-Baden 1996, S. 345 zurück
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Einigungsvertrag zurück
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Sacksofsky, S. 392 f. zurück
-
BR Drucks. 360/92, S. 17 zurück
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