Ist das Grundgesetz gegenüber dem
Bedürfnis nach innerer Sicherheit subsidiär?
Was ist eigentlich 50 Jahre alt am Grundgesetz?
In diesem Jahr wird das 50. Jubiläum des Grundgesetzes begangen.
Doch was ist von dem Grundgesetz von vor 50 Jahren noch übrig? 1949
standen die Mütter und Väter des Grundgesetzes noch unter dem
Eindruck des Krieges und des Nationalsozialismus. Dadurch entstand ein
in seinen Grundzügen durchaus fortschrittliches, das Militär
ignorierendes und freiheitlich demokratisches Grundgesetz.
Doch mit der Zeit verblasste die Erinnerung bzw. diejenigen, die den
Krieg und den Nationalsozialismus stützten und ermöglichten,
wurden wieder mutiger. Folglich wurde an dem Grundgesetz herumgedocktert,
ergänzt und geändert bis von dem ursprünglichen Gesetzeswerk
nur noch Spuren erkennbar waren. Als eindrucksvolle Änderungen sei
hier nur an die Militarisierung des Grundgesetzes oder den vor kurzem
eingefügten "Großen Lauschangriff" gedacht.
Aber nicht nur die Verfassung selbst wurde zurechtgebogen. Auch durch
einfache Gesetze wurde und wird das Grundgesetz ständig relativiert
und werden vor allem Grundrechte der BürgerInnen abgebaut.
Natürlich kann hier zurecht eingewandt werden, daß die Ergänzungen
und Änderungen der Verfassungswirklichkeit keineswegs zwangsläufig
eine Verschlechterung darstellten. So hat sich die Situation der Frauen
in der real existierenden Gesellschaft seit 1949 sicher verbessert und
die Diskriminierungen von Homosexuellen halten sich mittlerweile in Grenzen.
Auch wenn die Entwicklung dieser beispielhaft genannten Verbesserungen
lange noch nicht am Ende sein kann, so dürfen sie doch nicht ignoriert
werden. Aber hier sollen besonders die Veränderungen des Grundgesetzes
und unserer Rechtsordnung - am Beispiel des ASOG - behandelt werden, die
alles andere als einen Fortschritt in der Entwicklung bedeuten. Lobeshymnen
auf die wenigen und eigentlich selbstverständlichen Verbesserungen
gibt es zur Zeit genug.
Die neueste ASOG-Verschärfung als Angriff auf BürgerInnenrechte
In "das freischüßler" - 1/99 findet sich
auf den Seiten 18 f. eine Erklärung der Kampagne gegen die ASOG-Verschärfung,
die der akj initiiert hat. Mittlerweile ist die ASOG-Verschärfung
Wirklichkeit geworden.
Die Schleierfahndung und die Aufenthaltsverbote sind nun Bestandteil
eines Gesetzes, welches sich in das System des Grundgesetzes einfügen
muß bzw. müßte.
Der Hauptkritikpunkt am neuen ASOG ist die Verdachtsunabhängkeit
von Kontrollen. Jeder Bürger und jede Bürgerin wird dadurch
als Sicherheitsrisiko eingestuft - alle sind verdächtig. Es liegt
freilich am Ende bei den betreffenden PolizistInnen, wer tatsächlich
kontrolliert und des Platzes verwiesen wird. Damit werden den PolizistInnen
Befugnisse eingeräumt, die weitgehende Eingriffe in Grundrechte von
BürgerInnen ermöglichen.
Aber warum die Aufregung? Der Rechtsweg gem. Art. 19 IV GG steht schließlich
offen! Doch die ASOG-Verschärfung bietet der Polizei ein so weitreichendes
Ermessen, daß den Gerichten nur eine Verhältnismäßigkeitsprüfung
bleibt.
Auch die Ausweitung der Befugnisse bei Aufenthaltsverboten schränkt
Grundrechte ganz erheblich ein. So können Personen, von denen die
Polizei annimmt, sie würden demnächst eine Straftat begehen,
ganz legal an den Rand der Stadt verbracht werden. Es wäre nicht
das erste Mal, daß jemand im Wald am Rande Berlins verstirbt, nachdem
ihn oder sie die Polizei dorthin verbracht hat.
Was kann aber das Ziel solcher Willkürvorschriften sein? Die Bekämpfung
von Kriminalität? Das ist zumindest sehr zweifelhaft, denn das würde
ja voraussetzen, daß unsere Polizei "die Kriminellen"
von "den Anständigen" per Augenschein unterscheiden könnte.
Wahrscheinlich bilden sich einige PolizistInnen solcherlei Fähigkeiten
tatsächlich ein und damit ist auch schon der eigentliche Effekt angesprochen.
Menschen, die nicht in das Bild eines anständigen deutschen Staatsbürgers
passen, werden wohl vornehmlich Ziel verdachtsunabhängiger Kontrollen
sein. MigrantInnen, Flüchtlinge, Obdachlose, Junkies und einfach
"anders" aussehende Menschen geraten zusehends in's Visier.
Damit sinken die Aussichten auf Erfolg bei der Beschreitung des offenstehenden
Rechtswegs erheblich. Selbst wenn es zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit
einer "Maßnahme" kommt; wem wird das Gericht mehr Glauben
schenken, den PolizeibeamtInnen oder den Vertretern der genannten Gruppen(?).
Kann aber dieser Effekt das Ziel eines Gesetzes sein? Dazu meint Alexander
Dix - Leiter der Datenschutzbehörde Brandenburgs - "Der unverdächtige
Bürger mußte es bisher nicht hinnehmen, von der Polizei ohne
konkreten Anlaß befragt und kontrolliert zu werden. Mit der Einführung
der sogenannten Schleierfahndung sind weitreichende Eingriffe in diese
grundgesetzlich geschützte Sphäre und darüber hinaus in
die Freizügigkeit verbunden, ohne daß ein erkennbarer Gewinn
für die Sicherheit der Bürger dadurch gewährleistet würde.
Dies ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen kaum zu vereinbaren.".
Doch die Schleierfahndung und die Ausweitung der Aufenthaltsverbote sind
noch nicht alles. Wenn die Polizei Daten von BürgerInnen speichert,
so war sie bisher verpflichtet, die Betroffenen über die Speicherung
zu informieren. Dies brauchte zwar erst nach 5 Jahren geschehen, aber
immerhin. Immerhin deshalb, weil nun, mit der ASOG-Verschärfung,
auch dies ausbleibt. Die von Datenspeicherung betroffenen BürgerInnen
werden ab sofort nicht mehr über diese Maßnahmen informiert.
Damit fällt ein kleines Instrument der Kontrolle über die Polizei
weg. Hat die Polizei etwa etwas zu verbergen???
Fazit
Wenn die verantwortlichen PolitikerInnen nicht für weltfremd erklärt
werden sollen, muß davon ausgegangen werden, daß sie eine
umfassende und keinen Begrenzungen unterworfene Kontrolle und Überwachung
der BürgerInnen anstreben. Wer nichts zu verbergen hat, der soll
gefälligst auch alles offenlegen. Von den hehren Zielen des Grundgesetzes
spricht da niemand mehr.
Das Beispiel des ASOG sollte aber nicht den Eindruck erwecken, daß
diese Entwicklung auf Berlin beschränkt sei. In vielen Bundesländern
gelten entsprechende Regelungen bereits (z.B.: Bayern, Baden-Würtemberg)
und in anderen sind sie in Arbeit (z.B.: Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern).
Nach 50 Jahren Grundgesetz ist von diesem nicht mehr viel übrig
geblieben und das, was immer noch besteht, wirkt eher so, als ob es unsere
FDGO-predigenden PolitikerInnen in Ihren Plänen stört. "Wenn
wir die Innere Sicherheit wollen, dann können wir uns das Grundgesetz
in dieser Form nicht mehr leisten!" - Wann wird dieser Gedanke wohl
das erste Mal laut ausgesprochen werden ...
Volker Gerloff
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