Der
Generalbundesanwalt und die "juristische" Prüfung einer
möglichen Strafbarkeit
Vor ein paar Wochen haben mehre RechtsanwältInnen aus Hamburg Strafanzeige
gegen Herrn Bundeskanzler Schröder und die Herren Bundesminister
Scharping und Fischer wegen des Verdachtes der Vorbereitung eines Angriffskrieges
nach § 80 StGB gestellt. Diese Anzeige wurde von vielen Leuten aufgegriffen
und als eigene Anzeige an den Generalbundesanwalt gesandt. Aufgrund der
Tatsache, daß sowohl die ermittelnden Behörden und die Staatsanwaltschaft
als auch die RichterInnen vom Staat bezahlt werden, war es von Anfang
an klar, daß diese Anzeige abgewiesen würde. Gewartet wurde
daher vor allem auf die juristische Begründung der Ablehnung. Diese
Ablehnung liegt dem "freischüßler" im Wortlaut vor.
Interessant ist, daß die Ablehnung bei der Prüfung der Strafbarkeit
keinerlei juristische Argumentation enthält. Während Studierenden
ab dem ersten Semester eingetrichtert wird, wie wichtig eine juristische
Argumentation bei der Prüfung einer möglichen Strafbarkeit ist,
scheint dies für den Generalbundesanwalt nicht zu gelten. Dieser
zitiert eine Rede Schröders, also eines Beschuldigten(!), vor dem
Bundestag, in der der Einsatz der NATO gerechtfertigt wird, um damit die
Strafbarkeit gemäß § 80 StGB zu verneinen. Bei einer Prüfung
der Strafbarkeit dieses Strafgesetzes ist jedoch nach dem Eintritt des
Erfolges, also des Angriffskrieges, nicht auf die Intention der Beteiligten
abzustellen, sie kann daher auch nicht dazu dienen, die Beschuldigten
zu exkulpieren.
Diese
und andere Prüfungsfehler machen den "Charme" der Ablehnung
aus, die auf den folgenden Seiten wörtlich, jedoch ohne Anrede und
Schluß, abgedruckt ist.
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat das Wort ...
Auf Ihre Strafanzeige habe ich den Sachverhalt geprüft. Anhaltspunkte
für das Vorliegen einer Straftat sind nicht gegeben (§ 152 Abs.
2 StPO).
Der Straftatbestand der Vorbereitung eines Angriffskrieges nach §
80 StGB erfüllt den Verfassungsauftrag des Artikels 26 Abs. 1 GG.
Wie die Bezugnahme auf das Grundgesetz zum Ausdruck bringt, hat sich die
Auslegung des § 80 StGB nicht nur an dessen Wortlaut, insbesondere
nicht allein am militärisch verstandenen Begriff des Angriffskrieges
auszurichten. Vielmehr stellt der Straftatbestand ein Verhalten unter
Strafe, das nach den historischen Erfahrungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten
des Grundgesetzes als Störung des Friedens zu werten ist. Aus dem
Wortlaut des Artikels 26 Abs. 1 GG ergibt sich, daß die Vorbereitung
und die Führung eines Angriffskrieges nur einen Unterfall solcher
Handlungen bildet, die geeignet sind und in der Absicht begangen werden,
das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören. Diese Merkmale
sind deshalb bei der Auslegung des Begriffs "Angriffskrieg"
in § 80 StGB zu berücksichtigen.
Von
einer derartigen Eignung und Absicht kann im Blick auf den NATO-Einsatz
im Kosovo ersichtlich nicht die Rede sein. Unabhängig davon, ob bereits
die UN-Resolutionen 1160 und 1199 oder der sich auf diese Resolutionen
stützende Beschluß der NATO deren Intervention im Kosovo-Konflikt
nach dem Völkerrecht zu rechtfertigen vermögen, haben die für
den Einsatz der Bundeswehr Verantwortlichen im Rahmen des ihnen zustehenden
politischen Ermessens zusammen mit ihren Bündnispartnern ausschließlich
in dem Bestreben gehandelt, eine völker- und menschenrechtswidrige
Unterdrückung und Vertreibung der Kosovo-Albaner abzuwenden und zu
beenden (vgl. § 220a StGB). Dieser Beweggrund ist bereits in den
Debatten des Deutschen Bundestages vom 16. Oktober 1998 und vom 25. Februar
1999 deutlich zu Tage getreten. Er ergibt sich überdies aus einer
Vielzahl allgemeinkundiger Umstände.
Bundeskanzler Schröder hat am 26. März 1999 vor dem Deutschen
Bundestag unter anderem folgendes erklärt:
"... in der Nacht zum Donnerstag hat die NATO mit Luftschlägen
gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen. Das Bündnis
war zu diesem Schritt gezwungen, um weitere schwere und systematische
Verletzungen der Menschenrechte im Kosovo zu unterbinden und um eine humanitäre
Katastrophe dort zu verhindern.
Der Bundesaußenminister, die Bundesregierung und die Kontaktgruppe
haben in den letzten Wochen und Monaten nichts, aber auch gar nichts unversucht
gelassen, eine friedliche Lösung des Kosovo-Konfliktes zu erzielen.
Präsident Milosevic hat sein eigenes Volk, die albanische Bevölkerungsmehrheit
im Kosovo und die Staatengemeinschaft ein ums andere Mal hintergangen.
Monatelang haben der EU-Sonderbeauftragte Petritsch und sein amerikanischer
Kollege Hill in intensiver Reisediplomatie mit beiden Konfliktparteien
Gespräche geführt und den Boden für ein faires Abkommen
bereitet. In Rambouillet und Paris ist mehrere Wochen lang - wir alle
waren Zeugen - hartnäckig verhandelt worden. Zu dem dort vorgelegten
Abkommen, das die Menschenrechte der albanischen Bevölkerungsmehrheit
im Kosovo, aber auch die territoriale Integrität der Republik Jugoslawien
gewährleistet, gibt es nach meiner festen Auffassung keine Alternative.
Das ist der Grund, warum alle Parteien diesem Abkommen hätten zustimmen
müssen.
...
Die Vertreter der Kosovo-Albaner haben dem Abkommen von Rambouillet
schließlich zugestimmt. Einzig die Belgrader Delegation hat durch
ihre Obstruktionspolitik alle, aber auch wirklich alle Vermittlungsversuche
scheitern lassen. Sie allein trägt die Verantwortung für die
entstandene Lage.
Gleichzeitig hat das Milosevic-Regime seinen Krieg gegen die Bevölkerung
im Kosovo noch intensiviert. Unsagbares menschliches Leid ist die Folge
dieser Politik. Mehr als 250.000 Menschen mußten aus ihren Häusern
fliehen oder wurden gar mit Gewalt vertrieben. Allein in den letzten sechs
Wochen haben noch einmal 80.000 Menschen dem Inferno, das es dort gibt,
zu entrinnen versucht. Umgerechnet auf die Bevölkerung der Bundesrepublik
Deutschland wäre das die Einwohnerschaft einer Metropole wie Berlin.
Es wäre zynisch und verantwortungslos gewesen, dieser humanitären
Katastrophe weiter tatenlos zuzusehen.
Bis zuletzt hat sich die Staatengemeinschaft bemüht, dem Morden
auf diplomatischen Wege Einhalt zu gebieten. Außenminister Fischer
als EU-Ratspräsident, der russische Außenminister Iwanow und
der OSZE-Vorsitzende Vollebaek haben Präsident Milosevic in Belgrad
zur Annahme des Rambouillet-Abkommens gedrängt. Schließlich
hat Richard Holbrooke als Sondergesandter der Vereinigten Staaten am Montag
und Dienstag dieser Woche einen allerletzten Versuch unternommen, das
Regime in Belgrad zum Einlenken zu bewegen - alles vergebens. Wir hatten
deshalb keine andere Wahl, als gemeinsam mit unseren Verbündeten
die Drohung der NATO wahrzumachen und ein deutliches Zeichen dafür
zu setzen, daß wir als Staatengemeinschaft die weitere systematische
Verletzung der Menschenrechte im Kosovo nicht hinzunehmen bereit sind."
(Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr.
13 / S. 137 vom 30. März 1999).
Die der Strafanzeige zugrundeliegende Einschätzung, bei der vom
Deutschen Bundestag beschlossenen Beteiligung an einer von der NATO geführten
Luftoperation handele es sich um einen Angriffskrieg bzw. um die Vorbereitung
eines Angriffskrieges, wird danach den tatsächlichen Umständen
nicht gerecht. Sie läßt außer Betracht, daß es
der Bundesregierung und ihren NATO-Partnern allein darum geht, die Führung
der Föderativen Republik Jugoslawien nach langen vergeblichen Verhandlungen
zu bewegen, von einer Unterdrückung der albanischen Volksgruppe im
Kosovo abzulassen und zu einer friedlichen Politik zurückzukehren.
Der militärische NATO-Einsatz erweist sich als ultima ratio gegen
die maßgeblich von der jugoslawischen Staatsführung zu verantwortende
Friedensstörung im Kosovo. Er bezweckt letztlich die Wiederherstellung
des Friedens in der Krisenregion, indem erklärtermaßen eine
mit diplomatischen Mitteln zu findende friedensschaffende und friedenssichernde
Lösung befördert werden soll. Dies wird vom Straftatbestand
des § 80 StGB nicht erfaßt.
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