akj



Home

Aktuell

Erklärungen

das
freischüßler

     Ausgabe 1/99
     
Ausgabe 2/99
     
Ausgabe 3/99
     
Ausgabe 1/00
     
Ausgabe 2/00
     
Ausgabe 3/00
     
Ausgabe 1/01
     
Ausgabe 2/01
      Ausgabe 1/02
     
Ausgabe 1/03

     
Ausgabe 2/03
      Ausgabe 1/04

     Ausgabe 1/05

      Ersti-Heft

Vorträge

Projekte

Seminare

Links

Impressum



Buchrezension

Für alle, die mit Polizei und Justiz zu tun haben ...

Rolf Gössner, Erste Rechts-Hilfe: Rechts- und Verhaltenstips im Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1999, 383 Seiten, 39,80 DM.

"Im engmaschigen Netz der `Inneren Sicherheit' kann sich so mancher verfangen, der kaum damit rechnet. Schnell kann man in unangenehme Konflikte geraten mit der Polizei, mit Geheimdiensten, mit dem Gesetz oder mit der Justiz. Politisch aktive Menschen, die sich oppositionell betätigen ohnehin." So beginnt das Vorwort des neue Rechtshilfe-Handbuchs des Rechtsanwalts und Publizisten Rolf Gössner, der selbst seit langen Jahren unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Der nun vorgelegte Leitfaden ist der zur Zeit umfassendste Ratgeber für den Umgang mit der Staatsgewalt aus bürgerrechtlicher und staatskritischer Sicht und schließt damit eine seit längerem bestehende Lücke, die bisher mit Demo-Ratgebern und Rechtshilfebroschüren zu Einzelthemen nur unzureichend abgedeckt wurde, zumal die gängigen Schriften oft noch auf dem Stand der achtziger Jahre sind.

Das Buch wird eingeleitet durch einen Überblick über die Entwicklung der "Inneren Sicherheit" in der Bundesrepublik, die nach Meinung des Autors in Richtung "autoritärer Sicherheitsstaat" geht. Gössner gibt sich nicht der Illusion hin, unter rot-grün mehr als marginale Verbesserungen zu erwarten, da die neue Regierungskoalition auf ein wirkliches Umsteuern in der gesamten Politik der "Inneren Sicherheit" verzichtet und statt dessen auf Kontinuität setzt. Den Schwerpunkt des Werkes bildet der Abschnitt Rechts- und Verhaltenstips im Umgang mit der Staatsgewalt, der sich in acht Kapitel zu den Bereichen Polizei, Geheimdienste, Justiz & Rechtsschutz, Datenschutz und parlamentarische Mittel/Plebiszite gliedert.

Ausführlich und übersichtlich werden zunächst polizeiliche Alltags- und Demonstrationseinsätze dargestellt. Das ganze staatliche Zwangsinstrumentarium von der Auskunftspflicht gegenüber der Polizei (S. 59) bis zur ZeugInnenvernehmung (S. 106) ist abgehandelt. Den LeserInnen wird die juristisch-politische Selbsthilfe nahe gebracht und die Erfolgsaussichten der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten kritisch bewertet. Anhand von Übersichten und Checklisten bietet das Buch rasche Hilfe im konkreten Einzelfall. Zum Thema Datenschutz sind Musteranträge und -briefe abgedruckt, Vorlagen fehlen allerdings im Bereich des Demonstrationsrechts und für Widersprüche und Beschwerden gegen Zwangsmaßnahmen. Neben altbewährten Rechtshilferezepten werden auch so exotische Gegenmaßnahmen aufgeführt, wie der Hinweis auf die "Anti-Lausch-Tapete" der "Marburger Tapetenfabrik" in Kirchhain zu 16,40 DM pro qm (S. 187).

Ein Kritikpunkt bildet die Gewichtung der einzelnen Themen, da z.B. das Ordnungswidrigkeiten- und das strafrechtliche Ermittlungsverfahren samt Strafbefehl auf fünf mageren Seiten (S. 243 - 247) abgehandelt werden (Zwangsmaßnahmen wie z.B. Durchsuchungen werden allerdings ausführlich an anderer Stelle erörtert), während weniger relevante Themen mehr Raum beanspruchen. Hier schleichen sich Fehler ein, wenn beispielsweise der Autor zum Einspruch gegen Bußgeldbescheide rät und behauptet, dies sei für den Betroffenen risikolos (vgl. S. 244 f.), denn das Gericht kann entgegen Gössner in der Hauptverhandlung von der im Bußgeldbescheid getroffenen Entscheidung zum Nachteil des Betroffenen abweichen, sogar der Übergang vom Bußgeld- ins Strafverfahren ist möglich (§ 81 Abs. 1 OWiG). Gleichfalls fehlt der Hinweis (S. 246 f.), daß beim Einspruch gegen den Strafbefehl das Risiko einer schärferen Bestrafung besteht (§ 411 Abs. 4 StPO). Die praktisch relevante Frage, bis wann der Einspruch zurückgenommen werden kann (vgl. § 411 Abs. 3 StPO), läßt der Autor unbeantwortet.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Autor aus allen bürgerrechtlich relevanten Bereichen Materialien und Informationen zusammengetragen hat, die konkrete Rechtshilfe im Einzelfall erlauben, zugleich aber auch durch Hintergrundberichte eine kritische Einschätzung der einzelnen Maßnahme im politischen Gesamtzusammenhang ermöglichen. Insofern ist das Buch mehr als ein einfacher Rechtsratgeber, nämlich ein Handbuch zur Verteidigung der Bürgerrechte. Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß viele Kapitel auf schon veröffentlichten Beiträgen und Aufsätzen des Autors aufbauen.

Den Abschluß des Bandes bildet ein ausführlicher Anhang mit Informationen und Adressen zu Bürgerrechts- und Anti-Repressionsgruppen und ein Sachverzeichnis. Nützlich ist die Kurzbeschreibung der einzelnen Gruppen. Negativ ist anzumerken, daß nicht alle angegebenen Adressen (z.B. von Forum Recht & BAKJ) auf dem aktuellen Stand sind, andere, wie z.B. das europäische Bürgerrechtsnetzwerk Inter Citizen Conference (ICC) mit Büro in Berlin, fehlen völlig. Trotz der Verwendung vieler fachspezifischer Abkürzungen (wie z.B. VersG, StUG, MDR, VE und NoePs) gibt es kein Abkürzungsverzeichnis. Die nicht ganz billige Anschaffung - Kostenpunkt 39,80 DM - wird durch den umfangreichen Inhalt gerechtfertigt.

Trotz der angemerkten Kritik kann der Ratgeber allen Bürgerrechts-, Anti-Repressionsgruppen, Betroffenen und Interessierten nur wärmstens empfohlen werden, da er aufgrund der Aktualität und der Spannbreite der abgedeckten Themen ein unverzichtbares Hilfsmittel im Kampf gegen die Staatsgewalt darstellt, um die links-alternative Gegenwehr zu stärken und Handlungsspielräume zurückzugewinnen.

Stefan Soost

Der Beitrag erschien zuerst in Forum Recht 3/1999, S. 105.

back