Der Fall Kappler - ein Fall „deutscher
Solidarität"
Die Resistenza im von Deutschland besetzten Italien
Im Juli 1943 wurde Mussolini in Italien gestürzt. Daraufhin verkündete
Italien am 8. September 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten,
um am 13. Oktober 1943 Deutschland den Krieg zu erklären und damit
zur Anti-Hitler-Koalition überzutreten.
Diese Entwicklung in Italien veranlasste die faschistische Wehrmacht,
Italien zu okkupieren. Gegen diese Okkupation formierte sich eine breite
antifaschistische bewaffnete Widerstandsbewegung - die Resistenza.
Als am 23. März, wie jeden Tag, eine Wachmannschaft des Polizeiregiments
"Bozen" durch die Via Rasella (eine Straße in Rom) marschierte,
wurden die Polizisten dieses Regiments Opfer eines Anschlags der Restistenza.
Die Explosionen einer Bombe, einer präparierten Mörsergranate
und die darauf folgenden Schußsalven töteten 33 Polizisten.
Das Massaker in der Fosse Adreatine
Als Hitler von dem Anschlag in der Via Rosella erfuhr, wollte er zunächst
ein ganzes Stadtviertel von Rom sprengen lassen. Doch der SS-Polizeichef
von Rom, SS-Obersturmbannführer Kappler hatte die Idee, für
jeden getöteten Polizisten zehn italienische Geiseln zu erschießen.
Diese "Idee" wurde vom "Führer" für gut
befunden und er befahl deren Durchführung. Die Ausführung dieses
Befehls oblag Kappler selbst und seinen Stellvertretern SS-Hauptsturmbannführer
Priebke und SS-Sturmbannführer Hass.
Unter Kapplers Kommando wurden die von ihm zur Erschießung "ausgewählten"zusammengetrieben.
Darunter waren in römischen Gefängnissen sitzende WiderstandskämpferInnen
und JüdenInnen, BewohnerInnen der Via Rosella und zufällig auf
der Straße aufgegriffene PassantInnen. Danach wurden einige auf
der Stelle erschossen, andere mißhandelt und nachdem hunderte von
Menschen stundenlang mit erhobenen Händen vor einem Eisenzaun standen,
wurden die für die Erschießung "ausgesuchten" auf
Lastwagen gepfercht und in die Via Adreatine gebracht. Dort angekommen,
trieb die SS ihre Opfer mit auf den Rücken gebundenen Händen
in die Adreatinischen Sandsteinhölen, wo sie erschossen wurden. Als
festgestellt wurde, daß 5 Menschen zuviel zusammengetrieben wurden,
winkte Kappler ab und ließ diese auch erschießen. Dieses Kommando
bedurfte 90 SS-Männern, dauerte 9 Stunden und hatte 335 Tote zum
Ergebnis.
Verurteilung Kapplers in Italien
1948 wurde Kappler in Italien vor einem Militärgericht zu lebenslanger
Freiheitsstrafe verurteilt. Entgegen immer wieder auftauchender Behauptungen,
Kappler sei nur wegen der 5 "zuviel" Ermordeten verurteilt worden,
wurde Kappler wegen des gesamten Verbrechens in der Fosse Adreatine verurteilt.
Das in italienischer Sprache abgefaßte Urteil gegen Kappler wurde
übrigens nicht in die deutsche Sprache übersetzt. Das ist besonders
brisant, da gegen Priebke auch in Deutschland ein Ermittlungsverfahren
eingeleitet wurde, für das dieses Urteil durchaus von Wichtigkeit
war. Dies ist jedoch nur eine von vielen "nicht erklärbaren
Pannen" während dieser Ermittlungen, die bereits 1971 eingestellt
wurden, so die späte Einsicht des Oberstaatsanwalts Klaus Schacht,
der selbst durch die Verschleppung der Ermittlungen gegen den "Killer
von Theresienstadt", Anton Malloth, bekannt wurde.
Kapplers "Befreiung"
1977 entkam Kappler aus dem Militärhospital Celio in Italien. Die
Umstände unter denen dies geschah sind zumindest eigenartig. Antifaschistische
Gruppen vertreten die Auffassung, italienische und deutsche Geheimdienste
unter Mithilfe alter und neuer Komplizen hätten die "Flucht"
ermöglicht. Ob dem so ist, kann freilich nicht bewiesen werden. Aber
es gibt zumindest die Aussage des italienischen Ex-Geheimdienstchefs General
Ambrogio Viviani, in den 80ern Militärattche in Bonn und Bundesverdienstkreuzträger,
der behauptet, daß eine deutsch-italienische Absprache die "Befreiung"
Kapplers ermöglichte. Dafür spricht auch, daß Kappler
in der BRD von seinen Anhängern frenetisch gefeiert werden konnte
und daß er hier mit seiner Familie ungestört leben konnte,
bis er ein Jahr später verstarb. Eine Behelligung durch deutsche
Behörden oder gar eine Auslieferung brauchte er nie zu befürchten
- die "deutsche Solidarität" der EntscheidungsträgerInnen
war ihm gewiß. Der Vizepräsident des Internationalen Lagerkommitees
Buchenwald-Dora, Emil Carlebach sagte dazu: "Die Bundesregierung
liefert keine Deutschen an ein anderes Land aus - jedenfalls keinen deutschen
Kriegsverbrecher.".
Kapplers Helfer
Erich Priebke konnte nach 1945 mit Hilfe der USA und des Vatikan auf
der sogenannten "Rattenlinie" nach Argentinien entkommen. Dort
lebte er unter seinem richtigen Namen und mit Wissen der BRD-Botschaft
bis 1994, als ihn ein israelischer Journalist enttarnte. Erst dann wurde
ein Verfahren vor einem italienischen Militärgericht eröffnet.
Zunächst wurde er 1996 freigesprochen, unter Berücksichtigung
seines Alters und seines "anständigen Lebens" in den letzten
50 Jahren. Doch dieses Urteil löste große Empörung aus,
so daß Priebke 1997 zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Carlebach
dazu: "Das Urteil ist eine Unverschämtheit und zugleich eine
Beleidigung für jeden anständigen Menschen. Man braucht kein
Prophet zu sein, um sagen zu können, daß der Kerl vor Weihnachten
wieder frei ist.". Diese Prognose traf nicht zu, denn die anhaltenden
Proteste gegen die Milde des Gerichts führten im März 1998 zu
einer Verurteilung zu lebenslanger Haft.
Karl Hass war nach dem Krieg weiter in Rom tätig; diesmal als Mitarbeiter
des OSS bzw. dessen Nachfolger CIA, später des BND und auch der italienischen
Geheimdienste, da er wegen seines Antikommunismus als nützlich eingestuft
wurde. Es wird davon ausgegangen, daß er bei der Vorbereitung der
"Befreiung" Kapplers eine entscheidende Rolle spielte. Hass
wurde zunächst als Zeuge der Anklage(!) ins Priebke-Verfahren eingeführt
und dann selbst angeklagt. Auch er wurde im März 1998 zu lebenslanger
Haft verurteilt.
Fazit
Durch das Gezeigte wird die BRD einmal mehr in ein dunkles Licht gesetzt.
Während sich WiderstandskämpferInnen gegen den Nationalsozialismus
auch in der jungen BRD wieder verfolgt sahen, setzten die VerfolgerInnen
von damals ihr "Werk" fort. Während linken WiderstandskämpferInnen
die Entschädigungen für erlittenes Unrecht aberkannt wurden
(weil sie angeblich nicht gegen das NS-Gewaltsystem kämpften sondern
für ein kommunistisches Gewaltsystem) gingen die NS-TäterInnen
in staatlich finanzierte Pension und erhielten nicht selten noch Opferrenten
dazu.
Es ist bezeichnend, daß Menschen wie Kappler und Priebke vom deutschen
Nachkriegsstaat BRD geschützt werden, während ZwangsarbeiterInnen
und ehemalige KZ-Häftlinge noch heute um Entschädigungen betteln
müssen.
Volker Gerloff
Quellen:
junge Welt vom: 15.04.97; 24.07.97; 09.03.98; 25.03.99; 25.05.99
analyse & kritik vom: 22.08.96; 19.09.96
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