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Karl Liebknecht
Sind eigentlich alle Juristen Opportunisten, die immer nur die jeweils
herrschende Ordnung verteidigen - sei es die Monarchie, die bürgerliche
Demokratie oder der Nationalsozialismus? Und - in der heutigen Zeit -
nur dann eine andere Funktion ausüben, wenn sie es schlichtweg nicht
geschafft haben, eine Stelle zu bekommen - als Richter oder Staatsanwalt
oder in einer gut gehenden Wirtschaftskanzlei? Nein! Zu allen Zeiten gab
es auch unter den Menschen, die in ihrer Urkundensammlung auch juristische
Staatsexamina vorweisen konnten, solche, die die herrschenden Verhältnisse
nicht einfach hinnahmen, sondern für Veränderung kämpften.
Einer von ihnen ist Karl Liebknecht. Er wurde am 13. August 1871
als viertes Kind der Natalie Liebknecht geb. Reh und des bekannten
SPD-Politikers Wilhelm Liebknecht in Leipzig geboren. Nach dem
Abitur im Jahre 1890 studierte er kurzzeitig in Leipzig und von 1890-1893
in Berlin Jura und Nationalökonomie. Die anschließende Bewerbung
um eine Referendarstelle scheiterte zunächst. Offizielle Begründung
war, daß ihm als Sachsen die preußische Staatsangehörigkeit
fehlte. Wahrscheinlich ist aber, daß die politische Bedeutung seines
Vaters die Ursache war. Erst nach Zuerkennung der preußischen Staatsangehörigkeit,
Antritt zur Militärdienstpflicht und Fürsprache eines einflußreichen
Bekannten bekam er eine Stelle in der Provinz Westfalen. Dort wurde er
von den meisten anderen Referendaren gesellschaftlich boykottiert. Der
erzkonservative juristische Nachwuchs beschränkte seine Feindschaft
nicht auf die Funktionäre der Arbeiterbewegung, sondern schloß
deren Kinder in seinen Haß gleich mit ein. So wurde er z. B.
auf einer Versammlung der Referendare öffentlich für die Politik
seines Vaters angegriffen.1
Liebknecht promovierte 1897 mit dem Thema "Compensationsvollzug
und Compensationsvorbringen nach gemeinem Rechte" an der Uni Würzburg
zum Dr. jur. et rer. pol. 1899 eröffnete er zusammen mit seinem älteren
Bruder Theodor eine Rechtsanwaltskanzlei.
Karl
Liebknecht hält eine Rede auf dem Potsdamer Platz.
Im August 1900 trat er kurz nach dem Tod seines Vaters der SPD bei. 1901
wurde er Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung. 1904 war er
erstmals Parteitagsdelegierter. Ab 1908 gehörte er dem Abgeordnetenhaus
des preußischen Landtags an und war seit 1912 zugleich MdR.2
Seine politische Tätigkeit bestand zunächst v. a. in der
Hilfe bei der Erstellung einer parteiamtlichen Biographie über seinen
Vater. Schon bald aber war sein politischer Schwerpunkt der sogenannte
Antimilitarismus und insbesondere die antimilitaristische Agitation der
proletarischen Jugend. Mit analytischem Weitblick erkannte er den Militarismus
als wichtigstes Hindernis auf dem Weg zur Befreiung und setzte für
eine grundlegende Erforschung seiner Ursachen und Gesetzmäßigkeiten
ein, um ihn zu "beseitigen"3.
Zunächst erzielte Liebknecht in seiner Tätigkeit als Strafverteidiger
in politischen Prozessen Erfolge. So wurden im Königsberger Hochverratsprozeß
sieben SPD-Mitglieder wegen "Geheimbündelei, Hochverrat gegen
Russland und Zarenbeleidigung" angeklagt. Sachverhalt? Sie hatten
politische Schriften nach Russland geschmuggelt. Die Reichsregierung wollte
durch diesen Prozeß die SPD öffentlich diskreditieren. Liebknecht
nutzte wie die im Prozeß vertretenen ortsansässigen Verteidiger
wiederholt die Möglichkeit, vom Inhalt der Texte, die die Verhältnisse
in Russland beschrieben, auf diese Verhältnisse selbst überzuleiten.
Im Ergebnis wurden die beiden ersten Anklagepunkte fallengelassen. Der
Prozeß endete mit einer Blamage der Komplotteure. Allerdings wurde
Liebknecht dieser Erfolg auch durch den Dilettantismus seiner Gegner erleichtert.
Infolgedessen setzte er sich auch mit der politischen Rolle der Justiz
auseinander. Zur Lektüre empfohlen sei hier der in Stuttgart 1907
gehaltene Vortrag "Rechtsstaat und Klassenjustiz".4
Dort erklärte er z. B: "Wo es aber ernsthaft darauf ankam,
hat die Klassenjustiz noch nie versagt. Ich bin nicht der Auffassung,
daß die Richter etwa bewußt und böswillig das Recht beugen.
Gewiß gibt es auch solche Richter. Diese beschäftigen uns nicht,
denn nicht die Ausnahme verbrecherischer Individuen, sondern die Regel,
der Klassencharakter des Richters, ist sozial bedeutsam. Die Richter handeln
im allgemeinen nach bestem Wissen, aber beim besten Willen können
sie nichts anderes als Klassenjustiz ausüben. Sie können den
Tatbestand nicht richtig erfassen. Sie verstehen alles anders, es gewinnt
in ihren Augen alles eine andere Bedeutung."5
Aufgrund seines entschlossenen Eintretens für seine politische Überzeugung
blieb es nicht aus, daß sich seine Bekanntschaft mit der Justiz
nicht auf die Rolle des Rechtsanwalts beschränkte. Vom 9.-12.10.1907
fand vor dem Reichsgericht in Leipzig ein Prozeß wegen Vorbereitung
eines hochverräterischen Unternehmens gemäß §§ 86,
81 Satz 1 Nr. 2, 82 StGB a. F. statt.6
Der Angeklagte war Karl Liebknecht. Tatvorwurf: Abfassung und Verbreitung
der Schrift "Militarismus und Antimilitarismus". Durch die dort
vorgeschlagene Zermürbung des militaristischen Geistes könne
ein "unpopuläres kriegerisches Unternehmen" durch Militärstreik
vereitelt werden.7 Im Ergebnis
wurde Liebknecht zu eineinhalb Jahren Festungshaft verurteilt. Diese mußte
er voll absitzen.
Mit seinem Antimilitarismus blieb er jedoch Außenseiter in der
SPD. In einer durch Desinformation gekennzeichneten Situation - die Bedrohung
des Reichs durch Russland und Frankreich wurde an die Wand gemalt, SPD-seits
der Antizarismus der Vorkriegszeit militaristisch umgedeutet - konnte
er die Bewilligung von Kriegskrediten durch die SPD nicht verhindern.
Bei der ersten Abstimmung stimmte Liebknecht noch aus Fraktionsdisziplin
zu, danach stimmte er als einziges MdR gegen die Kredite.
Flyer
zur 1. Mai-Demo 1916
Seit 1915 organisierte er sich mit Rosa Luxemburg und anderen
Mitgliedern des linken Flügels in der Gruppe "Internationale",
die später in Spartakusgruppe umbenannt wurde. Am 1. Mai 1916 wurde
Liebknecht verhaftet, als er auf dem Potsdamer Platz das Flugblatt "Der
Hauptfeind steht im eigenen Land" verteilte. Er wurde in das Militärgefängnis
in der Lehrter Straße eingeliefert. Gleich am nächsten Tag
wurde seine Wohnung durchsucht. Das folgende Verfahren erstreckte sich
über drei Instanzen: Kommandanturgericht, Oberkommandanturgericht,
Reichsmilitärgericht. Ergebnis: vier Jahre und ein Monat Zuchthaus.
Seit dem 8. Dezember war Liebknecht im Zuchthaus Luckau.
Nach Bildung der Regierung Max von Baden mit zwei sozialdemokratischen
Staatssekretären am 3. Oktober 1918 wurde Karl Liebknecht am 23.
Oktober aus dem Zuchthaus entlassen. Er wurde am Anhalter Bahnhof von
20.000 Menschen begeistert empfangen. Die Spartakusgruppe wirkte inzwischen
in der 1917 gegründeten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands (USPD) mit. Karl Liebknecht hatte jedoch einen ihm angebotenen
Sitz im Parteivorstand abgelehnt.
Nachdem die USPD-Führung den Termin für den geplanten großen
Generalstreik immer wieder hinausgeschoben hatte, fand am 9. November
1918 der Streik ohne ihren Aufruf statt. Ein riesiger Demonstrationszug
mit bewaffneten Soldaten in der ersten Reihe bewegte sich von der Hauptstraße
in Schöneberg zur Unter den Linden (an der Berliner Universität
vorbei) und endete am kaiserlichen Schloß, dass der Gewalt des Arbeiter-
und Soldatenrats unterstand. Dort proklamierte Liebknecht die freie sozialistische
Republik Deutschland und rief zur Weltrevolution auf.
Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Die alte Ordnung siegte mit Hilfe
der "Mehrheits"-SPD - nicht aufgrund der Kräfteverhältnisse
bei den Massen, sondern mit brutaler Gewalt. Verantwortlich hierfür
war der für das Militärwesen zuständige Reichsminister
Gustav "Bluthund" Noske (SPD), der sein Konzept
so zusammenfaßte: "Schießen (...) und zwar auf jeden,
der der Truppe vor die Flinte läuft"8.
Erstmals wurde das militärische Standrecht durch das wilde Schießen
in die Menge abgelöst.
Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Tiergarten
ermordet. Auf Liebknecht schossen die unter Noskes Befehl stehenden Freikorps-Offiziere
Heinz von Pflugk-Harttung, Ulrich von Ritgen, Heinrich
Stiege und Rudolf Liepmann gleichzeitig. Die politische Verantwortung
Noskes für beide Morde wird von ernst zu nehmenden Historikern nicht
mehr bestritten. Es spricht aber viel dafür, dass er gegenüber
dem Befehlshaber der Einheit, die die Morde später durchführte,
Hauptmann Waldemar Pabst die Ermordung der beiden Politiker billigte
und dieser sie anschließend organisierte.9
Das bedeutet, dass Noske auch persönlich verantwortlich war.
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Helmut Trotnow, Karl Liebknecht,
Eine politische Biographie, Köln 1980, S. 25.zurück
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Damals war das Sitzungspensum noch viel
geringer als heute. Kleine Rätselfrage für Staatsrechtler:
Wäre eine derartige Häufung von Mandaten nach heutigem Recht
verfassungskonform? Nach hM ja.zurück
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Karl Liebknecht, Gesammelte Reden
und Schriften (zit. GRS Bandnummer, Seitenzahl), Band II, S.43.zurück
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GRS II, 17 ff.zurück
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GRS II, 39.zurück
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Die systematische Entsprechung im heutigen
StGB wäre §§ 83 I, 81 I Nr. 1. Mit zwei Unterschieden:
a) Auf der Tb-seite: Verfassung des Dt. Reiches gewaltsam ändern
/ mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt auf dem GG bestehende vfm.
Ordnung ändern.
b) Auf der Rechtsfolgenseite: damals Zuchthaus oder Festungshaft bis
zu drei Jahren; heute: ein bis zehn Jahre (§ 83 I)!zurück
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Eröffnungsbeschluß im Wortlaut:
GRS II, 83 f.zurück
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Kabinettssitzung vom 27.12.1918.zurück
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Klaus Gietinger, Die Spur der Mörder führt in die
Reichskanzlei, in: "junge welt" vom 16.01.99.zurück
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