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Prozeßbericht

Am 5. August 1999 ging ein politischer Strafprozeß mit einem "Ergebnis" von 12 Monaten Haft, zur Bewährung auf 4 Jahre ausgesetzt, plus 120 Stunden gemeinnütziger Arbeit zuende, den der akj im Rahmen seines Projektes Prozeßbeobachtung verfolgte. Die Verurteilung erfolgte zum einen wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Verunglimpfung der BRD und ihrer Symbole und zum anderen nochmals wegen "bloßer" Volksverhetzung.

Zum Sachverhalt

Nach dem Abschluß der Beweisaufnahme stand für die Staatsschutzkammer des Landgerichts Berlin folgender Sachverhalt fest: More K. habe sich bei der revolutionären 1. Mai-Demonstration vom Oranienplatz zum Pariser Platz von 1994 auf der Ladefläche des Lautsprecherwagens befunden. Dabei hätte sie per Megaphon Parolen gerufen, die eine aufgeheizte Stimmung unter den Demonstrationsteilnehmern erzeugten. Entscheidend sei dabei, daß während des Rufens der Parolen das Lied "Deutschland" von Slime abgespielt wurde, wo es unter anderem heißt: "Deutschland muß sterben, damit wir leben können!". Dieser Sachverhalt entspräche einer Volksverhetzung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Staates.

Auf einer anderen Demonstration soll More K. Parolen wie: "Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten" gerufen haben. Dieser Sachverhalt stelle nochmals eine Volksverhetzung dar.

Dieser vom Gericht als bewiesen erachtete Sachverhalt trifft nach unseren Beobachtungen nicht zu bzw. kann nicht als bewiesen angesehen werden.

Die ZeugInnen der Polizei sagten aus, daß eine weibliche Person mit einem gebrochenen Deutsch die fraglichen Parolen vom Lautsprecherwagen gerufen habe. Die Angeklagte spricht jedoch nachweislich fließend Deutsch, was ob ihrer Geburt in Duisburg nicht verwundert. Diese Aussagen können also höchstens beweisen, daß unsere Polizei sehr konkrete rassistische Vorurteile hat: Angeklagte mit türkischem Namen = gebrochenes Deutsch.

Eine Zeugin der Polizei sagte aus, sie habe die weibliche Stimme, welche die Parolen rief als die der Angeklagten erkannt. Darauf stützte sich dann auch hauptsächlich das Urteil. Diese Aussage erscheint jedoch sehr wage. Eine Gegenüberstellung verschiedener weiblicher Stimmen, aus der die Zeugin die fragliche heraushören könnte fand schließlich nicht statt. Der betreffende Antrag der Verteidigung wurde als nicht der Sachen dienend abgelehnt.

Zur Beweisaufnahme wurde auch ein Polizeivideo gezeigt, worauf More K. jedoch auch nicht zu identifizieren war. Interessant ist auch, daß es zwei Videos gab, eines mit Tonspur und eines ohne - das ohne (!!!) Tonspur wurde abgespielt. Die Feststellung der Tatsache, das More K. die Parolenruferin war, stützt sich folglich auf lediglich eine sehr wage Zeuginnenaussage.

Die weiteren Feststellungen, daß das Lied "Deutschland" abgespielt wurde, More K. auf der Ladefläche stand und sie auf einer anderen Demonstration die erwähnten Parolen rief, wurden von der Angeklagten als zutreffend eingeräumt.

Der tatsächlich bewiesene Sachverhalt sagt also lediglich aus, daß More K. am 1. Mai 1994 auf einem Lautsprecherwagen stand und auf einer anderen Demonstration "Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten" etc. rief. Würde also der Grundsatz in dubio pro rea Beachtung finden, so sähe das Urteil sicher anders aus. Doch deutsche Richter dienten von je her nicht der Verteidigung von Rechten der Menschen sondern immer einer Obrigkeit - im Gegensatz zu Richtern in England oder den USA. Daher mag es fast "verständlich" sein, wenn ein deutscher Richter im Zweifel nicht für die Angeklagte sondern für die Obrigkeit entscheidet.1

Rechtstreuer Bürger - wahrscheinlich würde er den Anforderungen der Berliner Justiz genügen.Rechtstreuer Bürger – wahrscheinlich würde er den Anforderungen der Berliner Justiz genügen.

Das Plädoyer des Staatsanwaltes

Das Plädoyer des Staatsanwaltes war im wesentlichen von unjuristischer Polemik dominiert. Eine Subsumtion unter die einschlägigen Normen blieb aus. Kurz erläuterte der Staatsanwalt, daß die ZeugInnen der Polizei allesamt sehr glaubwürdig seien, das Vorliegen des Tatbestandes der Volksverhetzung in Tateinheit mit Verunglimpfung der BRD und ihrer Symbole durch das Abspielen des Liedes "Deutschland" im Zusammenhang mit Parolen, die die Angeklagte über den Lautsprecherwagen rief, gegeben sei, und die Worte "Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten" etc. noch einmal eine Volksverhetzung darstellten.

Auf den Einwand der Verteidigung, hier sei die Angeklagte durch die Kunstfreiheit geschützt, erläuterte er, daß hier nicht das Abspielen des Liedes bestraft werde, sondern das Abspielen im Zusammenhang mit den Parolen, wodurch die Kunstfreiheit nicht einschlägig sei. Im Rahmen dieser Ausführungen, ließ sich der Staatsanwalt dazu hinreißen, der Angeklagten eine Berufung auf Grund- und Menschenrechte im Allgemeinen streitig zu machen. Es gehe schließlich nicht an, daß jemand, der diesen Staat bekämpfe und zu dem auch noch diejenigen, die die Rechtsordnung unter Einsatz ihrer Gesundheit und ihres Lebens schützen (Polizei), sich gleichzeitig auf Grundrechte dieses Staates berufe. Diese ultra-konservative und menschenverachtende Logik scheint ihrerseits kaum mit dem Gedanken einer freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar. Überdies wird hier einmal mehr der Mythos der ständig in Gefahr und unter Bedrohung lebenden Polizei angebracht, der eher in Märchenbücher als in Gerichtssäle gehört. Studien haben ergeben, daß der Beruf des Polizisten bzw. der Polizistin (in Deutschland) einer der sichersten überhaupt ist. Jeder Busfahrer und jede Busfahrerin lebt statistisch gesehen doppelt so gefährlich, wie ein Polizist oder eine Polizistin.2 Aber der Staatsanwalt lebt scheinbar in seiner eigenen kleinen Welt.

Zu der Tatsache, daß die Angeklagte einen Einbürgerungsantrag stellte, sah sich der Staatsanwalt auch genötigt, etwas zu sagen. Er verstehe es nicht, daß eine Person, die die BRD verachte, Staatsangehörige dieses Staates werden will. Würde der Herr Staatsanwalt aus seiner kleinen (rassistischen) Welt ausbrechen, würde er vielleicht eher Unverständnis darüber äußern, daß eine Person, die in Deutschland geboren wurde überhaupt um die deutsche Staatsangehörigkeit betteln muß oder das die politische Einstellung für die Frage der Staatsangehörigkeit relevant sein kann.

Letztendlich kam der Staatsanwalt zu einer Strafforderung von 10 Monaten Haft für die Volksverhetzung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Staates und 5 Monaten Haft für die nochmalige Volksverhetzung. Er schlug eine Gesamtstrafe von 12 Monaten vor, die zu 4 Jahren Bewährung ausgesetzt werden sollten. Zusätzlich forderte er die Ableistung von 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit.

Das Urteil

Der Richter zeichnete sich während des Prozesses unter anderem durch seine aggressive Haltung gegenüber der Verteidigung und der Angeklagten aus. So teilte z.B. der Nürnberger Wahlverteidiger von More K. dem Gericht mit, an welchen Terminen er auf keinen Fall erscheinen könne. Diese Mitteilung bewirkte, daß die Prozeßtermine genau an diesen Tagen stattfanden und More K. eine Pflichtverteidigerin erhielt. Während den Verhandlungen sprach der Richter betont leise und undeutlich und es kam vor, daß er die ZeugInnen ermunterte auch leise zu sprechen, da die ZuschauerInnen nichts verstehen müßten - eine sehr interessante Auffassung von einem öffentlichen Verfahren. Außerdem schrie der Richter des öfteren die Verteidigung und die Angeklagte an, reagierte auf Anträge der Verteidigung genervt bis cholerisch (nahezu alle Anträge wurden abgelehnt) und putzte seine Brille, guckte gelangweilt an die Decke etc. wenn die Verteidigung oder die Angeklagte redeten.

Bei der Urteilsverkündung hatte der Richter seinen abschließenden Auftritt. Im wesentlichen folgte er den Forderungen des Staatsanwaltes, lediglich die 200 Stunden Zwangsarbeit setzte er auf 120 Stunden herunter. Auch der Richter sprach von "vermeintlichen Rechten", die die Angeklagte geltend gemacht habe. Wäre er juristisch korrekt geblieben, hätte er von Rechten gesprochen, die die Angeklagte zwar hat, aber die hier nicht einschlägig sind.

Auf die Bemerkung von More K. in ihrem Schlußwort, die PolizistInnen hätten vor Gericht gelogen, bemerkte der Richter seinerseits, daß es eine "Dreistigkeit" sei, diejenigen, die tagtäglich einen schweren Dienst für den Schutz der Rechtsordnung leisten, so zu Verunglimpfen. Es wurde suggeriert, daß PolizistInnen schon kraft ihres Beamtentums gar nicht in der Lage wären Unrechtes zu tun. Das auch dieser Mythos eher in Märchenbücher als in den Gerichtssaal gehört, zeigt schon die Tatsache, daß PolizistInnen gezielt auf ihre Aussagen vorbereitet werden, ihre Aussagegenehmigungen von den Vorgesetzten so gestaltet werden, daß sie im Grunde nur belastende Aussagen machen können, daß die PolizeizeugInnen in der Regel einen einheitlichen Grundstock einer Tatversion haben und bei weiteren Nachfragen ins Stocken geraten oder sich sehr stark widersprechen und zu guter letzt natürlich die Tatsache, daß auch PolizistInnen nur Menschen sind.3 Es sei hier nur daran erinnert, daß die Polizisten, die die fraglichen Parolen gehört haben wollen, von einem gebrochenen Deutsch sprachen, obwohl More K. einwandfrei deutsch spricht. Der Verdacht, der gezielten Aussagemanipulation drängt sich regelrecht auf. Aber auch dieser Mythos war nicht zu platt, um vom Richter angebracht zu werden.

Abschließend stellte der Richter klar, daß es sich hier nicht um einen politischen Prozeß handelte. Es werde auch kein Gesinnungsstrafrecht ausgeübt. Hier werde nämlich nicht die Gesinnung bestraft, sondern die Tat, die aus der Gesinnung erwächst. Das ist ein altbekanntes Konstrukt. Schon bei der Beratung des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes im Bundestag 1951, mit dem ein politisches Strafrecht für die BRD geschaffen wurde, sagte ein FDP Abgeordneter: "Jawohl [...], wir schaffen in gewisser Beziehung ein Gesinnungsstrafrecht; aber wir bestrafen nicht die Gesinnung, sondern die Tat, die aus der Gesinnung wächst"4. Es lebe die Kreativität der Staatsschutzkammern - natürlich war es ein politischer Prozeß5.

Karl Richter


  1. Flechtheim, zitiert in: Gössner, Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges, S. 106. zurueck

  2. Gössner, Polizei im Zwielicht, S. 193 ff.. zurueck

  3. dazu, mit vielfachen Beispielen: Gössner, Polizei im Zwielicht. zurueck

  4. Zitiert in: Gössner, Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges, S. 76. zurueck

  5. Zur politischen Justiz allgemein siehe auch: ad rem Nr. 1/1999, S. 20 f.. zurueck

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