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Wem gehört die Stadt? - Teil 2
Der folgende Artikel ist der zweite und letzte Teil des Artikels "Wem
gehört die Stadt". Der erste Teil
wurde im freischüssler 3/99 abgedruckt, wobei die Redaktion
einräumen muss, dass die Aufteilung damals recht unglücklich
vorgenommen wurde.
Er
stellt dar, wie privatisierte Innenstadtflächen zu einem Verlust
an Grundrechtsgarantien führen - und damit der Willkür des Eigentümers
Tür und Tor öffnen. Auch im öffentlichen Raum besteht durch
Neuerungen wie ASOG die Möglichkeit, unerwünschte Personen zu
vertreiben. Schließlich werden auch durch die Sanierungs- und Modernisierungspolitik
systematisch Bevölkerungsschichten aus der Innenstadt verdrängt.
Alternative Lebensformen wie Hausbesetzung und Wagenburgen werden erst
recht mehr geduldet.
5) Was soll das alles?
Was sind nun die Gründe für diese Politik, d.h. warum sollen
"Randgruppen" aller Art aus der Innenstadt vertrieben bzw. ausgeschlossen,
preiswerter Wohnraum vernichtet und alternative Lebensformen verhindert
werden?
Als Folge der Globalisierung und des Wettbewerbs zwischen den Städten
und Regionen muss der "Standort" oder das "Unternehmen"
Berlin fit gemacht werden, um die Nase vor den Mitbewerbern Frankfurt/Main,
Hamburg, Köln, aber auch Warschau, Prag oder Wien auf Dauer vorne
zu haben. Hierzu müssen vor allem die großen und wichtigen
Konzerne in die Stadt gelockt werden. Diese wollen aber nicht nur billiges
Bauland und eine gute Infrastruktur. Vielmehr werden die Konzerne ja auch
"nur" von Menschen geleitet, denen daher das Leben in der Stadt
(Lebensqualität, Luxuswohnungen, Konsumerlebnisse etc.) so angenehm
wie möglich gemacht werden. Zwar wünschen sich diese Leute von
der Stadt eine gewisse Urbanität, jedoch ohne deren störende
Seiten, wie die stärkere Sichtbarkeit gesellschaftlicher Widersprüche
und Probleme an diesen Orten, die bei den sog. Gewinnern dieser Gesellschaft
ja auf Irritation oder auch Angst stoßen könnten. Die beste
Lösung dafür ist eine Art Pseudo-Öffentlichkeit in der
Stadt, die von den gesellschaftlichen Widersprüchen hermetisch abgeriegelt
ist. Diese stellt sich an vielen Orten (z.B. Opern, Restaurants, teure
Einkaufpassagen etc.) durch hohe Preise schon von selbst her. Nicht von
selbst funktioniert dies dagegen in "normalen" Einkaufszentren,
Bahnhöfen, öffentlichen Räumen oder eben in der Innenstadt
durch besetzte Häuser und Wagenburgen. Daher sind also die oben genannten
Mittel notwendig um auch aus diesen Räumen die "störenden"
Randgruppen zu vertreiben. Auch preiswerter Wohnraum würde in der
Innenstadt ein Milieu erhalten, dass wenig erwünscht ist. Die Luxussanierungen
sind daher nicht nur im Interesse der Vermieter, sondern auch der Politiker
und Konzerne. Auch durch sie kann in der Innenstadt herrlich die gewünschte
Atmosphäre erzeugt werden.
Dazu kommt, dass den Menschen in der Stadt das Bild vermittelt werden
soll, dass die derzeit bestehende Lebensweise die einzig mögliche
und einzig glücklich-machende ist. Funktionierende alternative Lebensformen
vor der Haustür könnten daran jedoch Zweifel auslösen.
Es könnte fraglich werden, ob es wirklich notwendig ist 40 Stunden
in der Woche bloß für Miete, Nahrung und wochenendliche "Vergnügungen"
zu arbeiten oder ob anstelle einer leidlichen Karriere und dem kranken
Konkurrenzdenken nicht menschliche Beziehungen und ein Miteinander und
Füreinander das Leben mit etwas mehr Glück füllen könnten,
etc. Die systematische Diffamierung und Kriminalisierung bzw. letztendliche
Vertreibung "der Alternativen" aus der Innenstadt soll diese
oder ähnliche Fragestellungen eben lieber gleich verhindern.
Ähnlich wird die "Normalbevölkerung" auch auf die
Notwendigkeit der Umstrukturierung der Stadt in der oben genannten Weise
für die Konzerne eingeschworen. Die Randgruppen und Alternativen
werden systematisch kriminalisiert und in der Bevölkerung damit ein
Sicherheitsbedürfnis produziert, dem gar keine reale Gefahr (zumindest
nicht diesen Ausmaßes) zugrunde liegt. Diesem Sicherheitsbedürfnis
entspricht dann eben die darauf folgende "Säuberung" der
Stadt für die Konzerne. So sagt z.B. die Bahn AG in ihrer 3-S-Broschüre
selber: na so unsicher sind die Bahnhöfe ja gar nicht, aber sie werden
als unsicher empfunden, und deshalb geben wir ihnen mehr Sicherheit11.
6)
Resümee
Durch all diese Prozesse ist die Stadt nicht länger Zentrum des
sozialen und kulturellen Lebens, sondern wird in ein Privatparadies für
die, die es sich leisten können verwandelt. Dabei fallen aber immer
mehr Menschen heraus. Durch den ständigen Abbau des Gesundheits-
und Sozialversorgungssystems und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen
(sinkende Löhne, ungesicherte Arbeitsverhältnisse etc.) gehören
zu den sog. Randgruppen, die nicht konsumfähig sind immer mehr Menschen,
vor allem Arbeitslose, Ausländer, Behinderte, Frauen u.a., die sich
diesen Status nicht selbst ausgesucht haben.
Die Träger der beschriebenen Umstrukturierungsprozesse kümmern
sich einen Dreck um die Ursachen von Armut, Obdachlosigkeit, Bettlerei,
Hausbesetzungen u.ä., denn die Menschen dahinter sind in der heutigen
kapitalistischen Gesellschaft nur noch überflüssig und ein Kostenfaktor,
der so weit wie möglich heruntergeschraubt werden soll, nicht zuletzt
auch um einen Anreiz dafür zu schaffen auch noch den beschissensten
Job anzunehmen um nicht ganz "abzusteigen". Das Elend soll daher
gar nicht mehr bekämpft, sondern nur noch verdrängt werden,
dort wo es stört, indem die ökonomische und soziale Krise als
eine Krise der Werte und Normen dargestellt wird und daraus dann Eingriffsmöglichkeiten
für den Staat hergeleitet werden.
Das ganze folgt also absolut der kapitalistischen Logik. Erneut wird
ersichtlich wie krank und unmenschlich diese ist, d.h. was für Auswirkungen
es hat, wenn das alles bestimmende Prinzip "Geld" bzw. "Profit"
heißt. Der Mensch an sich zählt dabei gar nichts.
Als einen Weg, den ganzen Prozess aktiv abzulehnen schlug die sog. Innenstadtaktion
1998 viele eher symbolische Aktionen des Widerstandes vor, die zur Anregung
doch noch einmal aufgezählt werden sollen: Picknick auf dem privatisierten
L.A.-Platz, Massenschwarzfahren, Asseln im Anzug im Bahnhof (gut gekleidet
"schlecht" benehmen), präventives Grillen an gefährlichen
Orten, Sparkassenrave: Tanzen in der Schalterhalle ohne abzuheben, Errichten
eines "Servicepoints" zum Planschen und Plauschen in der Friedrichstraße
etc...
Martin Henselmann
11. Bernd Jaeger in Jungle World Nr.24 S.6.zurück
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