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Schweigen brechen, Tode verhindern . . .

Delegationsbericht aus der Türkei



Vom 14. – 17. September befand sich eine internationale JuristInnendelegation in Istanbul. Die Delegation bestand aus deutschen, schweizer und niederländischen JuristInnen und wurde u.a. von der Vereinigung Europäischer Demokratischer JuristInnen (EJDM) unterstützt. Ziel der Delegation war es, Informationen über die Isoaltionsgefängnisse (F-Typ Gefängnisse) der Türkei zu erhalten.


Vorweg

Der Widerstand der türkischen Opposition richtet sich vornehmlich gegen die durch IWF-Auflagen erzwungene Politik, welche eine Massenverelendung in der Türkei zur Folge hat. Willkürliche Inhaftierungen vermeintlicher Oppositioneller (offiziellen Statistiken zufolge werden jährlich 300.000 Menschen festgenommen), das Verschwinden lassen kritische Köpfe u.v.m. sind die Antwort des Staates.

KritikerInnen dieser Politik müssen ihrerseits mit Repressionen rechnen. Organisationen werden verboten; Einzelpersonen werden mit Strafverfahren überzogen. Allein im ersten Halbjahr 2001 forderte die Staatsanwaltschaft für 1.519 Personen insgesamt 3.125 Jahre Haft wegen „Unterstützung terroristischer Organisationen“. Die von der UN- und der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 18 UN-MRK; Art. 9, 10 EMRK) gebotene Meinungs- und Gedankenfreiheit wird dadurch einfach ignoriert.

In diesem Rahmen wurde auch unsere Delegationsarbeit massiv behindert. Wir wurden für drei Stunden in Gewahrsam genommen, wegen des Verdachts der Terrorismusunterstützung. Dabei wurden unsere beiden türkischen MitarbeiterInnen festgenommen und geschlagen und saßen drei Tage in Haft. Wir wurden ständig observiert und jedem der mit uns in Kontakt kam, wurde durch das demonstrative Auftreten unserer zahlreichen Bewacher suggeriert, daß Kontakt mit uns unratsam ist.

Trotz dieser Behinderungen gelang es uns mit Rechtsanwälten, Vertretern des Menschenrechtsvereins IHD und mit Vertretern der Angehörigenorganisation TAYAD zu sprechen. Viele geplante Termine und eine symbolische öffentliche Anklage gegen die Türkei wegen grober Verstöße gegen die Menschenrechte wurden dagegen verhindert.


Die F-Typ Gefängnisse


Am 19.12.2000 wurden die ersten Häftlinge mittels einer brutalen Militäraktion in die neuen F-Typ Gefängnisse „verlegt“. Dabei wurden 30 Gefangene getötet. Die F-Typ Gefängnisse sind speziell für politische Gefangene eingeführt worden.

Elf dieser Gefängnisse mit jeweils 386 Insassen sind geplant, davon sind bisher sieben in Betrieb. Es gibt Einzelzellen und Drei-Personen-Zellen. Für drei Einzelzellen und jede Dreier-Zelle gibt es einen separaten Hof, so daß die Gefangenen nie mit mehr als zwei anderen Gefangenen in Kontakt kommen. Die Zelle ist komplett geräuschisoliert und dauerverschlossen. Selbst das Essen wird lediglich durch eine Türluke in die Zelle gereicht. Der Gefängnisflur und der Hof sind videoüberwacht.

Es gibt Disziplinarstrafen bspw. auf Grund „falschen Verhaltens“ bei der Gefangenenzählung. Bei diesen Zählungen müssen die Gefangenen eine bestimmte militärische Haltung annehmen. Tun sie dies nicht zur Zufriedenheit der Wärter, so folgen Folterungen und Disziplinarstrafen. Solche Strafen können die Abschaltung der Belüftung oder die Einstellung des ohnehin streng zensierten Briefempfangs beinhalten.

Es existiert ein Sportraum, eine Bibliothek und Arbeitsateliers. Diese können jedoch nur bei besonderem Wohlverhalten und auf Antrag genutzt werden und selbst dann nur unter Isolationsbedingungen – bspw. sind Gespräche nicht erlaubt. Die Häftlinge verweigern sich daher dieser „Möglichkeiten“ völlig.

Aus der Bibliothek dürfen Bücher bestellt werden, wobei maximal drei Exemplare pro Kopf auf der Zelle sein dürfen. Der Inhalt der Bücher führt jedoch zu einer Verweigerung dieses „Angebots“ bei den politischen Häftlingen. Von außen zugesandte Bücher sind genehmigungspflichtig.

Radio und Fernsehen sind bedingt möglich. Ein ständiges ein- und ausschaltbares Musikgeräusch bildet die einzige Geräuschkulisse in der Zelle und Fernsehen ist auf Antrag und gegen Bezahlung möglich. Besuche von Verwandten sind nach Genehmigung für eine Stunde pro Monat möglich.

AnwältInnen müssen sich vor Mandantengesprächen (eine Stunde pro Woche) einer gründlichen Untersuchung unterziehen. Schriftstücke können dem Mandanten nur über die Verwaltung vorgelegt werden, wobei bei dieser Gelegenheit oft wichtige Akten ohne Begründung beschlagnahmt werden. Zu dem akustisch und optisch überwachten Gespräch darf der Anwalt nur Zettel und Stift mitnehmen. Nach einer Verurteilung des Mandanten sind Anwaltsbesuche generell ausgeschlossen. Anwälte politischer Häftlinge müssen selbst mit ständigen Repressalien rechnen und leben. So wurde ein Anwalt allein drei mal bei Mandantenbesuchen festgenommen, um angebliche „Suchvermerke“ gegen ihn zu klären. Oft gibt es Strafverfahren gegen die Verteidiger wegen „Hilfeleistung einer terroristischen Vereinigung“.

Diese Praktiken geben keine Gewähr für ein faires Verfahren und verstoßen somit gegen Art. 6 EMRK, Art. 10 UN-MRK und Art. 14 UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-PbpR).


Ein faires Verfahren ist daher schlicht unmöglich.


Die Isolation


Durch die Isolationsbedingungen sind die Folterungen an Zahl und Qualität gestiegen. Die übliche Prozedur bei der „Einweisung“ in eine F-Typ Zelle beinhaltet die Vergewaltigung mit Polizeiknüppeln, heftige Schläge und Tritte sowie ein abschließendes Werfen in eine Jauchebrühe. Auch während der Inhaftierung erfolgen Folterungen. Ein Todesfastender war bspw. auf Grund seines gesundheitlichen Zustands nicht in der Lage, die geforderte Stellung bei der Gefangenenzählung einzunehmen. Daraufhin wurde ihm die Wirbelsäule gebrochen.

Eine juristisch wirksame Beschwerde gegen diese Bedingungen, wie in Art. 13 EMRK, Art. 2 UN-PbpR gefordert, besteht nicht.

Im Handbuch der türkischen Gefängniswärter ist zu lesen: „Terroristen sollen nicht miteinander kommunizieren. Denn wenn ein Terrorist nicht kommuniziert, dann stirbt er wie ein Fisch an Land“. Die sinnliche Wahrnehmung der Häftlinge wird auf ein Minimum begrenzt. Die menschlichen Sinne liegen brach, wodurch eine enorme psychische und physische Belastung erzeugt wird.

Art. 3 EMRK, Art. 5 UN-MRK und Art. 7 UN-PbpR verbieten die Folter. Folter ist danach jede Handlung, durch die jemandem von Trägern staatlicher Gewalt vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden – Folter ist eine verschärfte Form absichtlicher grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Danach ist der F-Typ Vollzug eindeutig Folter.


Das Todesfasten


Nach der „Operation“ vom 19.12.2000 begannen hunderte politische Häftlinge und ihre Angehörigen ein Todesfasten, bei dem bis heute 63 Todesopfer zu beklagen sind. Alle beteiligten männlichen Häftlinge wurden in F-Typ Zellen verlegt. Dort wurden sie teilweise mehrfach zwangsernährt. Ins Koma Gefallene unterlagen der Zwangsernährung, erwachten daraufhin und verweigerten die Zwangsbehandlung. Sie fielen erneut ins Koma und die Prozedur begann von neuem. Resultat dessen sind mehrere Häftlinge, die ihr gesamtes Erinnerungsvermögen eingebüßt haben.

Einige todesfastende Häftlinge wurden wegen Haftunfähigkeit vorübergehend entlassen. Das Todesfasten wird aber auch außerhalb der Gefängnisse weitergeführt. Der türkische Staat reagiert darauf u.a. mit militärischen Angriffen auf den Stadtteil Armutlu-Istanbul (Widerstandszentrum der Opposition) mit Panzerwagen, scharfer Munition und Gasgranaten.


Schlußbemerkung


Die Forderungen der Todesfastenden sind vernünftig: Abschaffung der F-Typ Gefängnisse; Abschaffung der Anti-Terror-Gesetze; ein Recht auf uneingeschränkte Verteidigung und ärztliche Behandlung; Abschaffung der Staatssicherheitsgerichte; regelmäßige Kontrolle der Gefängnisse durch unabhängige Kommissionen und die Bestrafung der Folterer.

Von Staatsseite heißt es dagegen: mit den F-Typ Gefängnissen werden europäische Standards in der Türkei eingeführt. Wie gezeigt sind in der Realität vielfältige Verstöße gegen die UN-MRK, die EMRK und den UN-IPbpR zu verzeichnen. Daneben stehen die türkischen Gefängnispraktiken auch den vom Europarat empfohlenen „Grundprinzipien des europäischen Strafvollzugs“ entgegen. Danach ist der Strafvollzug unter „materiellen und sittlichen Bedingungen, welche die Achtung der Menschenwürde gewährleisten“ zu vollführen. Das Resozialisierungsgebot soll den Strafvollzug prägen und menschenwürdige Haftbedingungen sollen durch regelmäßige unabhängige Kontrollen gesichert werden (so auch im „Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ zu finden). Nichts von all dem findet sich im F-Typ Vollzug.

Durch die Isolationshaft werden Menschenrechte mit Füßen getreten, um politisch unliebsame Personen dauerhaft unschädlich zu machen. Diese Praxis muß aufs schärfste verurteilt werden. Auch die europäischen Regierungen täten gut daran, ihre Haltung zu überdenken. Insbesondere die BRD stützt das türkische Gefängnissystem, bspw. indem sie der Türkei mit dem Export der „Stammheim-Technologie“ zu Hilfe kam. Folter und Willkür in der Türkei werden totgeschwiegen und verharmlost; ein EU-Beitritt dagegen für möglich erklärt. Die BRD schiebt weiter Menschen ab, die bei ihrer Ankunft in der Türkei gefoltert werden u.v.m..

Die EU-Staaten bekunden ihre Freude über den türkischen Reformprozeß zur Abschaffung der Todesstrafe, bleiben aber stumm, wenn gleichzeitig Menschen durch F-Typ Zellen zu lebenden Toten gemacht werden.

Solange die türkische Opposition darf nicht allein gelassen werden. Das Schweigen in Europa muß gebrochen werden, um weitere Tote zu vermeiden!


Volker Gerloff

(Delegationsteilnehmer für den akj-berlin)




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