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Der italienische Medienprinz und die Justiz

Es war einmal ...


... und das ist noch gar nicht so lange her, da folgten mehrere zehntausend Menschen dem Aufruf von indymedia und zogen in einer »Media Parade« durch die Straßen Roms, um für Informationsfreiheit und gegen die staatliche Repression gegen indymedia italia und den freien römischen Sender »Radio Onda Rossa« (Radio Rote Welle), dem die Abschaltung droht, zu demonstrieren. In anderen Staaten hätte eine Demonstration solchen Ausmaßes an den Toren der Mächtigen nicht ungehört verschallen können. Nicht so in Italien. Viele Medien schweigen - das Informationsmonopol liegt nun einmal bei der Regierung.


Berlusconi und seine Mannschaft1 sitzen fest im Sattel und diesmal wollen sie länger bleiben. Mit märchenhaften Wahlversprechungen, die seine drei Fernsehsender und seine verschiedenen auflagenstarken Tageszeitungen propagierten, und dem Geld der Familie Agnelli (u.a. FIAT) im Rücken gelang ihm der erneute Sprung auf den Thron. Dabei konnte er sich anscheinend auch auf die Unterstützung von Organisationen verlassen, die zwar vom Staat verfolgt, aber um so funktionstüchtiger sind. Nur so lässt sich erklären, wie es kommt, dass z.B. sämtliche 61 Parlamentssitze von Sizilien geschlossen an Berlusconis „Partei“ (Forza Italia, despektierlich übersetzt etwa: Aufi geht’s, Italien) gegangen sind.

Was von einer Regierung zu erwarten ist, deren ProtagonistInnen ihre Multimilliarden im Mediengeschäft in den seltensten Fällen der freien Konkurrenz zu verdanken haben, fasst Jürgen Senf in folgendem schönen Beispiel zusammen, dass auch angesichts der Insolvenz des deutschen Medienkonzerns von Leo Kirch nicht weniger nachvollziehbar geworden ist:


„Dass auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen von parteipolitisch interessierter Seite immer wieder anklagend gezeigt und Tendenziosität behauptet wird, ist ein alter Hut, in Italien wie hierzulande. Stellen wir uns aber vor, der Wortführer dieser Kampagnen in den letzten Jahren wäre Leo Kirch gewesen, und Leo würde Bundeskanzler, nachdem er in aller Öffentlichkeit erklärt hätte, wie er beabsichtigt, die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf 'liberalen' Kurs zu bringen. Nehmen wir an, die dafür notwendigen neuen Köpfe hätte der Bundestag zu ernennen, in dem Leo über eine satte Mehrheit verfügte. Nehmen wir schließlich an, Leo hätte in seinem Wahlkampf von der Möglichkeit, sich in 'seinem' privaten Fernsehen ausführlich in Szene zu setzen, ungeniert Gebrauch gemacht und dabei ununterbrochen auf die öffentlichen Programme gezeigt und gegen ihre angebliche Parteilichkeit für die Konkurrenz gewettert – dann haben wir ein Szenario, mit dem sich halbwegs ins Deutsche übersetzen lässt, was in Italien geschah und derzeit geschieht.“2                   


Die unwillige Justitia

Wenn es um die institutionellen und persönlichen Garantien der RichterInnen geht, wird in Italien bisher nicht zwischen „ordentlichen“ RichterInnen und ErmittlungsrichterInnen sowie StaatsanwältInnen unterschieden. Daher ist kein Staatsanwalt bzw. keine Staatsanwältin weisungsabhängig. Für seine Arbeit gilt das Legalitätsprinzip. Entsprechend sind auch die ErmittlungsrichterInnen in der Durchführung des strafrechtlichen Vorverfahrens unabhängig. Unter anderem auf diese Garantien wird zurückgeführt, dass die italienische Justiz in den letzten eineinhalb Jahrzehnten in der Lage war, einen Teil der politischen und wirtschaftlichen Korruption im Lande aufzuklären bzw. zumindest zur Ermittlung zu bringen.


Für einen Politiker, gegen den seit Jahren in zahlreichen Ermittlungs- und Strafverfahren u.a. wegen Bestechung, Bilanzfälschung und –betruges europaweit3 ermittelt wird und gegen den z.Z. vier Gerichtsverfahren laufen, stellt die öffentliche Justiz eine echte Gefährdung dar. Die mit der Aufklärung der Vergehen des Silvio Berlusconi befassten ErmittlungsrichterInnen und StaatsanwältInnen werden daher seit einem Jahrzehnt mit beispiellosem publizistischen Trommelfeuer überzogen.

Nach seiner erneuten Machterlangung kommen Berlusconi noch ganz andere Mittel zu Hilfe. Von kleinen Stichelleien gegen die „kommunistische“4 RichterInnenschaft5 bis hin zum Versuch der strukturellen Zerschlagung des Justizapparates,6 stets sind Wirtschaft, Finanzeliten und die Mafia7 größte Nutznießer seiner „Reformen“. So präsentiert Berlusconi in anschaulicher Weise die Mehrheitsdiktatur der Vetternwirtschaft in einer parlamentarischen Demokratie. Das Strickmuster ist einfach: Gesetze werden schnell geändert, krummen Geschäfte erstrahlen plötzlich im Glanz der Legalität, JournalistInnen schweigen aus Angst um ihren Job oder preisen die Errungenschaften der „Justizreform“ für gutes Geld.

Sternstunden für InvestorInnen: Probleme mit der Justiz? Worum geht's - Bilanzfälschung? Kein Problem: lex Berlusconi Nr. I. - Abschaffung des Straftatbestands der Bilanzfälschung Anfang August 2001! Sie sind Kapitalflüchtling? Kein Problem: Abschaffung der Nachweispflicht für die Herkunft von Kapital! Was, die Justiz ermittelt von Amts wegen gegen Sie? Kein Problem: Abschaffung des Legalitätsprinzips - allein die eigene Mehrheit im Parlament soll fortan entscheiden können, welche Deliktsgruppen von der Justiz noch verfolgt werden dürfen und welche nicht! Ein Glück, dass sich die Justiz ihre Spielregeln nicht selber setzt . . .


Severus Snape





Lest hier den ausführlichen Artikel des italienischen Richters
Ignazio Patrone über den Kampf zwischen der italienischen Justiz und Regierungschef Berlusconi um Rechtsstaatlichkeit, richterliche Unabhängigkeit und die Wahrung des Gewaltenteilungsprinzip.




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1Nach Entlassung seines globalisierungsfanatischen Außenministers Renato Ruggiero hat sich Berlusconi ein Kabinett geschaffen, dass eher dem eingeschworenen Betriebsvortstand der „Berlusconi-Italia-AG“ gleicht, als einer Regierung europäischen Zuschnitts.

2Jürgen Senf, in: Betrifft Justiz Nr. 67, September 2001, Seite 128.

3Einem Antrag der spanischen Justiz an das EU-Parlament, die Immunität des Abgeordneten Silvio B. aufzuheben, konnte sich Berlusconi nur dadurch entziehen, dass die Parlamentspräsidentin Nicole Fontaine, die mit ihm in der selben Fraktion saß, den Antrag mit Verfahrensvorwänden so lange hinaus zögerte, bis der Italiener sich der Verhaftung mit einem Sprung auf den Regierungssessel in Rom entziehen konnte. U.a. ermittelt der spanischer Ermittlungsrichter Baltazar Garzon gegen Berlusconi wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe und Bestechung. Grund genug für Italien, in den Verhandlungen über das europäischen Auslieferungsabkommen ein Veto für alle Wirtschafts- und Korruptionsdelikte einzulegen.

4Die Bezeichnung „toghe rosse“ (Rote Roben) wird zum Politikum.

5Anfang Februar zog die Regierung Berlusconi den Personenschutz für die JustizbeamtInnen wegen angeblicher Finanzierungsprobleme ab und eröffnete damit praktisch die Jagdsaison auf die unter höchster persönlicher Gefahr ermittelnden bzw. urteilenden RichterInnen und StaatsanwältInnen.

6Berlusconi plant eine, der dt. Justiz entsprechende Trennung der Laufbahnen (separazione delle carriere) von RichterInnen und StaatsanwältInnen und damit die Unabhängigkeit der richterlichen Ermittlungsbehörden zu kippen.

7Diese Unterscheidung ist zwar künstlich, aber traditionell.