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Der italienische Medienprinz und die Justiz

Der Richter und sein Henker


In Italien ist schon seit geraumer Zeit ein generelles Mißtrauen der Politik gegenüber der Rechtsprechung zu erkennen, das seit Jahren keine Gelegenheit ausläßt, sich in der Presse und im Fernsehen zu artikulieren. Da gab es die Vorgänge um die schließlich gescheiterte Kommission für Verfassungsreformen unter dem Vorsitz von Massimo D’ Alema von den Linksdemokraten und dann um die Ratifizierung des Rechtshilfeabkommens mit der Schweiz, das die Mitte-Links-Regierung unglaublicherweise liegen ließ und das dann von der neuen Mehrheit mit Einschränkungen gebilligt wurde, durch welche den italienischen Richtern und Staatsanwälten Ermittlungen im Ausland sehr erschwert werden. Da sind schließlich noch die neuen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften und die nur teilweise erfolgte Umsetzung der Konvention der OSZE über die Korruption und die Verantwortung juristischer Personen und die Vorgänge um den neuen Artikel 111 der italienischen Verfassung über den ”gerechten Prozeß” (als ob es in Italien seit 1948 nur ”ungerechte” Prozesse gegeben hätte) – lauter Bekundungen des Mißtrauens. Insofern geben die Vorgänge seit dem Wahlsieg der Mitte-Rechts-Koalition und seit der Ernennung von Silvio Berlusconi Anlaß zu größter Besorgnis über das Staatsverständnis der derzeitigen Mehrheit.


Im Zivilprozeß sollen die Befugnisse des Gerichts zur Verfahrenslenkung zugunsten eines freien Spiels der Kräfte eingeschränkt werden. Zum arbeitsgerichtlichen Verfahren hat der Arbeitsminister im Oktober einen Entwurf vorgelegt, der die Befugnisse des Richters neu definiert und die Möglichkeit einschränkt, die Weiterbeschäftigung unrechtmäßig gekündigter Arbeitnehmer anzuordnen.


Schwerer noch wiegen die Eingriffe in den Strafprozeß, z.B. eine Entschließung des Senats vom 05.12.2001, in der er sich zu laufenden Gerichtsverfahren äußert, und einige Eingriffe der Exekutive in laufende Prozesse, die samt und sonders den Premierminister Berlusconi oder seine Anwälte, Mitgesellschafter, Freunde und Verwandten betreffen. Hier handelt es sich um offensichtliche Verletzungen der Gewaltenteilung sowie des Grundsatzes der Selbstverwaltung der Justiz durch ihr gesetzliches Selbstverwaltungsorgan.


Auch gegenüber der europäischen Zusammenarbeit der Justiz ist die Mehrheit mißtrauisch wenn nicht sogar feindselig eingestellt, sobald es um Wirtschafts- oder Steuerstrafsachen geht. Zur Rechtfertigung wird die Verteidigung der italienischen Souveränität vorgeschoben, die von den ”Verschwörungen” der ”kommunistischen” europäischen Richter bedroht werde, wie Berlusconi nicht müde wird gegenüber der Presse, auch der ausländischen, zu behaupten.


Schließlich die Reform der Zusammensetzung und der Wahl des Obersten Rats der Gerichtsbarkeit, des Consiglio Superiore della Magistratura. Die Zahl der Mitglieder soll herabgesetzt und die Mitwirkung der Richtervereinigungen bei der Wahl eingeschränkt werden. Im justizpolitischen Programm der Mehrheit geht es offenbar vordringlich darum, die Richter und Staatsanwälte abzustrafen. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß alle diese Eingriffe den Zweck haben, die Befugnisse der Richter im Zivil- als auch im Strafprozeß so weit wie möglich zurückzudrängen und zu Vorstellungen des 19.Jahrhunderts zurückzukehren.


Wie konnte es dazu kommen? Hierzu sind einige Vorbemerkungen angebracht:
a) Berlusconi, derzeit der reichste Mann in Italien, gibt sich zwar sich als Verfechter des freien Marktes und des Wettbewerbs; er verdankt seinen Reichtum aber der Monopolstellung, die seine Gruppe seit den 80er Jahren im Fernsehen erworben hat. Hierbei waren ihm seine persönlichen Beziehungen zu Politikern nützlich, allen voran Bettino Craxi. Dank Craxi konnte ein fast unbekannter Bauunternehmer aus Mailand eine unumschränkte Herrschaft im Fernsehen und dem Werbesektor erlangen.

b) Fundamente der Gruppe des Premierministers sind führende Banken, Versicherungs- und Investmentgesellschsften und vor allem Kommunikationsindustrie und Werbewirtschaft. Er besitzt 3 nationale Fernsehnetze, einige Radiosender, den wichtigsten Verlag, einige Tageszeitungen mit landesweiter Verbreitung, zahlreiche weit verbreitete Wochenzeitschriften, ein wichtiges Filmunternehmen. All diese Aktivitäten sind untereinander koordiniert und finanzieren sich durch Werbung. Berlusconi kontrolliert wiederum die landesweit größte Werbeagentur. Solch eine umfassende Kontrolle der Medien durch nur ein Unternehmen gibt es in keinem ökonomisch entwickelten Land. Wenn also eine Kampagne lanciert wird, die den Eindruck vermitteln soll, die Justiz in Italien sei schon immer in den Händen einer Gruppe politisierter und ”kommunistischer” Richter und Staatsanwälte, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß etwas davon in der öffentlichen Meinung hängen bleibt. Und genau so war es mit den Prozessen gegen Berlusconi und seine Berater und Mitgesellschafter, die wegen Richterbestechung, Bilanzfälschung und Steuerhinterziehung angeklagt sind. Durch jahrelangen geschickten Einsatz von Fernsehen, Radio und Zeitschriften verstand es Berlusconi, den Eindruck zu erwecken, er sei nicht angeklagt, sondern ”verfolgt”. Das Ziel war, nicht nur um jeden Preis Verurteilungen zu vermeiden, sondern auch bereits auf die Verfahren Einfluß zu nehmen. Dazu dienten dauernde Gesetzesänderungen mit dem Ziel, die Verwertung belastender Beweismittel zu vereiteln, und die und auch vor Verleumdung und persönlichen Angriffen nicht zurückschreckende Herabsetzung der Richter und Staatsanwälte, die mit dem ”Angeklagten Berlusconi” zu tun hatten.


Die Grundzüge dieser Politik waren schon im Wahlkampf dargestellt worden. Das betonen jetzt Berlusconi und sein Justizminister Castelli, wenn sie die versprochenen sogenannten Reformen erklären: Prozessuale ”Garantien” in Wirtschaftsstrafsachen und größere Härte gegenüber der Kriminalität ”der Armen” (Handel mit Drogen in kleinen Mengen, illegale Einwanderung) waren den Italienern vor den Wahlen versprochen worden.


Diese Maßnahmen zielen eher noch auf die Kultur als auf die Politik und das Rechtswesen. Das allgemeine Verständnis vom Recht und von der Justiz, vor allem der Strafjustiz, soll verändert werden. So etwas hat es in der italienischen Geschichte noch nicht gegeben. Selbst die faschistischen Juristen hatten nie gemeint, daß Korruption und Betrug weniger schwer wiegen könnten als Diebstahl. Das angestrebte Ziel ist eine Reform des Strafrechts und der Gerichte, die nicht mehr die ”anständigen Leute” verfolgen sollen, sondern nur die Straftaten, die deren Sicherheit bedrohen. Unter ”Sicherheit” wird nicht mehr soziale Sicherheit verstanden – Sicherheit des Arbeitsplatzes, der Gesundheit, der Altersvorsorge und anderer elementarer sozialer Rechte – sondern allein ”öffentliche Sicherheit und Ordnung” in dem repressiven Sinne, in dem sie schon mit aller Härte gegenüber den Demonstrationen beim G 8 – Gipfel in Genua im Juli 2001 praktiziert wurde.


Das alles läßt sich nicht einfach mit der Kulturlosigkeit der jetzt regierenden Kreise erklären. Da ist vor allem der Wunsch des Anführers und seiner treuen Freunde und Berater, der Bestrafung für ganz normale und keineswegs ”politische” Straftaten zu entgehen. Dann ist da noch der offensichtliche Ärger über die lästigen Gesetze, das Fehlen von Bürgersinn und die seit jeher in Italien gepflogene Praxis der Illegalität.


Schließlich – und das ist das gefährlichste – der Versuch, das politische System und das Verfassungsverständnis von Grund auf zu ändern, indem die Gleichgültigkeit und Überlegenheit der neuen Macht gegenüber dem Recht betont wird, legitimiert als Ausdruck des Mehrheitswillens.


Ein Teil der Verantwortung für den entstandenen Schaden fällt auf die Mitte- Links- Kräfte zurück. Sie haben sich in den vergangenen 5 Jahren ihrer Regierung nie dem für unsere Demokratie so wichtigen Problem des Interessenkonflikts gestellt. Sie haben sich an den von der Rechten entfesselten Pressekampagnen zum Thema Sicherheit beteiligt und sind den Vorschlägen der Juristen und auch der Richtervereinigungen zum Thema Justiz mit Argwohn begegnet.




Die Gefahr ist groß. Diese Regierung hat gezeigt, daß sie ihre Pläne mit ”Mehrheitsstreichen” im Parlament durchbringen will. Dafür will sie nötigenfalls auch die Verfassung ändern, wenn sie deren Normen für ”veraltet” hält, die der neuen Republik des Plebiszits und der Meinungsumfragen (großenteils durch von Berlusconi abhängige Institute) nicht gemäß sind. Die Rechtsprechung (und vor allem die organisierte Richterschaft) sind das Ziel einer politischen Delegitimierungskampagne, die auch vor persönlichen Angriffen nicht zurückschreckt und die Regeln des verfassungsmäßigen Zusammenspiels der Kräfte verändern will.


Es läßt sich schwer vorhersagen, ob dieser Plan gelingen und wie das künftige Kräfteverhältnis in Italien sein wird. Jedenfalls aber bleibt das Legalitätsprinzip auf der Strecke. Gewiß beruht es darauf, daß parlamentarische Mehrheiten entscheiden; aber der Macht der Mehrheit stellt es auch einige Kontrollen entgegen, die unabhängigen Organen - allem der Rechtsprechung - anvertraut werden. Ohne diese Kontrollen können wir uns schnell in einer modernen Diktatur wiederfinden.


Ignazio Patrone*








Lest hier einen einführenden Artikel in die Problematik um den Kampf der italienischen Justiz gegen Berlusconi ...



*   Der Autor ist Richter und arbeitet z.Z. als wissenschaftlicher Mitarbeiter am italienischen      Verfassungsgericht in Rom.

aus: Betrifft JUSTIZ Nr. 69, März 2002, S. 286, Übersetzung aus dem Italienischen von        Christoph Strecker



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