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Werden in der BRD die Menschenrechte
politischer Gefangener beachtet? - Teil 2
Der folgende Text ist die Fortsetzung des Artikels aus dem freischüßler
2/99, der die Bedingungen der Isolationshaft in dewr BRD im allgemeinen
und gegenüber den Gefangenen aus der RAF beschreibt. Die rechtliche
Bewertung wird am Maßstab des Art. 2 II GG begonnen und hier mit
völkerrechtlichen Normen fortgesetzt.
Wer die Nummer 2 nicht mehr zur Hand hat, kann ihn auch unter www.rewi.hu-berlin.de/AKJ/zeitung/99/2/14.htm
nachlesen.
b) EMRK
Auf der Ebene des internationalen Rechts wird eine Verletzung des Folterverbots
des Art. 3 EMRK geltend gemacht.
Eine
Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission, einer der
beiden Vorläuferinstanzen des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte (EGMR), verneinte hingegen 1978 eine Verletzung gegenüber
Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe.6
Dabei stützte sie sich darauf, daß anhand der medizinischen
Gutachten nicht auf eine spezifische Wirkung der Isolationshaft auf den
körperlichen und geistigen Zustand im Vergleich zu anderen Faktoren
wie Haftdauer und Hungerstreiks geschlossen werden könne. Damit setzt
sie sich aber sowohl über sämtliche Sachverständigengutachten
in Strafverfahren gegen RAF-Angehörige als auch über Feststellungen
in Entscheidungen von BVerfG und BGH hinweg. So wurde im bekannten "Stammheim-Prozeß"
vor dem OLG Stuttgart die Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten
festgestellt. Der BGH als Beschwerdeinstanz stellte fest, Ursache der
Verhandlungsunfähigkeit sei die Isolationshaft; da die Angeklagten
diese durch ihre Gefährlichkeit selbst verschuldet hätten, könne
die Verhandlung gemäß § 231a StPO in ihrer Abwesenheit
stattfinden.7
Daher vermag die Entscheidung der Kommission nicht zu überzeugen.
Die in der BRD angewandte Isolationshaft ist Folter i. S. d.
Art. 3 EMRK und somit völkerrechtswidrig.
c) IPbürgR
Aus den genannten Gründen verstößt die Praxis der Isolationshaft
auch gegen Art. 7 IPbürgR, der Folter sowie grausame oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe verbietet.
Der gemäß Art. 28 I des Pakts gebildete UN-Menschenrechtsausschuß
untersuchte in drei Sitzungen am 3.-7. April 1986 die Menschenrechtssituation
in der BRD. Die BReg war hier zur Berichterstattung verpflichtet. Sowohl
der schriftliche Bericht als auch die Antworten auf Fragen der Ausschußmitglieder
entsprachen jedoch in mehreren Punkten nicht der Wahrheit. So wurde erklärt,
die besonderen Sicherheitsmaßnahmen unterliegenden Gefangenen könnten
häufig Besuche von Verteidigern und Angehörigen empfangen und
verfügten über Bücher, Zeitschriften und Radios.8
Die Gefangenen lebten in kleinen Gruppen zusammen.9
Einzelhaft ("individual confinement") dürfe nie länger
als drei Monate dauern.10 Die
Haftbedingungen würden nicht generell verhängt, sondern in jedem
Einzelfall geprüft.11 Wer
nur verbal eine terroristische Organisation unterstütze, könne
nicht in Untersuchungshaft genommen werden.12
Die Wirklichkeit sieht aber anders aus: Die politischen Gefangenen waren
oft über Jahre in Einzelhaft.13
Zur Widerlegung der Behauptung der BReg genügt auch ein Blick ins
Gesetz: nach § 89 II 1 StVollzG kann die Dauer drei Monate überschreiten.14
Nur ein kleiner Teil der Gefangenen lebte in kleinen Gruppen. Außerdem
wurden Angehörigenbesuche bis in die 90er Jahre hinein überwacht
und protokolliert; Verteidigerbesuche finden mit Trennscheibe statt.15
Zeitschriften und Bücher werden zensiert. Die Einzelfallbezogenheit
ist nur formal: im Ergebnis wird die Isolationshaft gegen alle verhängt,
denen die Verwirklichung des § 129a vorgeworfen wird.16
Und die bloß verbale Unterstützung einer "terroristischen
Vereinigung" wird regelmäßig unter § 129a III
StGB subsumiert.
Die unaufrichtige Haltung der BReg ist ein weiteres Indiz dafür,
daß die tatsächlichen Verhältnisse einer rechtlichen Prüfung
nicht standhalten.
So wurde denn auch die BRD im Ausschuß von verschiedenen Mitgliedern
kritisiert. Interessanterweise kamen die Kritiker nicht in erster Linie
- wie man hätte erwarten können - aus Ländern des damaligen
Ostblocks und des Trikonts, sondern aus Frankreich, der SFR Jugoslawien
und dem Vereinigten Königreich.
d) Europ. Folterkonvention
Gemäß Art. 1 des Europäischen Übereinkommens zur
Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung (Europ. Folterkonv.)17
des Europarats wird ein Ausschuß zur Verhütung von Folter und
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe gebildet. Der
Ausschuß kann zu diesem Zweck Gefängnisse besuchen.
Die Europ. Folterkonvention enthält jedoch in Art. 9 eine wichtige
Einschränkung. Einen unangekündigten Besuch des Ausschusses
können die nationalen Behörden verzögern, wenn "außergewöhnliche
Umstände" vorliegen. Diese Umstände können mit der
nationalen Verteidigung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen
Ordnung am Inhaftierungsort, dem Gesundheitszustand einer Person oder
einer Vernehmung im Zusammenhang mit einer schweren Straftat begründet
werden. Dabei wäre es gerade bei Vorliegen solcher Umstände
ein Besuch besonders wichtig, weil gerade dann erniedrigende Behandlung
und Folter besonders wahrscheinlich ist.18
Durch die Regelung soll den Staaten auch ermöglicht werden, Haftorte
geheim zu halten, was für die Sicherheit nicht erforderlich ist,
aber Folter erleichtert.19 Die
Verzögerung eines Ausschußbesuchs ergibt übrigens nur
dann Sinn, wenn der betreffende Gefangene auch von anderen Kontakten ausgeschlossen
ist.
Diese Regelung, die die Verhinderung von Folter in allen Mitgliedstaaten
des Europarats erschwert, wurde maßgeblich auf Druck der BRD, Frankreichs
und des VK in die Konvention eingefügt.
Der Ausschuß hat 1991 deutsche Gefängnisse, Polizeiwachen
und psychiatrische Anstalten besucht. Er hat dabei die Einzelhaft kritisiert.
Die BReg müsse dafür sorgen, daß die ihr unterworfenen
Gefangenen "angemessenen menschlichen Kontakt haben könnten".
Er ging aber nicht auf die speziellen Bedingungen der RAF-Gefangenen ein.
Im Ergebnis ist eine gründlichere Untersuchung der Haftbedingungen
zu fordern.
2. Beschränkungen für Verteidiger
Wegen der in diesem Zusammenhang ebenfalls relevanten Einschränkungen
der Verteidigerrechte gegenüber Beschuldigten aus der RAF kommt eine
Verletzung des Art. 14 IPbürgR in Betracht. Hier wird auf Bakker
Schut (Fn. 3) verwiesen.
3. Haftdauer
Das BVerfG hat in seiner Lebenslange Freiheitsstrafe-Entscheidung festgestellt,
daß zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs
gehöre, daß dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten
grundsätzlich eine Chance verbleibe, je wieder der Freiheit teilhaftig
zu werden. Nur aufgrund dieser Voraussetzung würden menschenwürdewidrige
irreparable Schäden psychischer oder physischer Art verhindert.20
Bei Entscheidungen, die die Haftdauer auf mindestens 26 Jahre festlegen,
kann diese wohl kaum als erfüllt angesehen werden. Aber wie so oft
nimmt das BVerfG wohl seine eigenen Entscheidungen nicht ganz ernst und
nimmt in einem späteren Urteil menschenunwürdige, überlange
Strafen hin, wenn sie aufgrund der "besonderen Schwere der Schuld"
(§ 57a I 1 Nr. 2 StGB) geboten sind.21
Entgegen dieser Rechtsprechung verstößt die Mindesthaftstrafen-Praxis
gegen Art. 2 II 2, Art. 1 GG.
IV. Ergebnis
1992 sprach der damalige Bundesjustizminister Kinkel davon, daß
bei allen Gefangenen die Entlassung zu prüfen sei. Die Praxis sieht
aber anders aus: die meisten Gefangenen, die in den letzten Jahren freigelassen
wurden, waren bereits so schwer erkrankt, daß die Justiz ihre Haftunfähigkeit
nicht mehr verbergen konnte.
Im Gegenteil wurden neue Hauptverfahren eingeleitet, die auf fragwürdigen
Kronzeugen-Aussagen basierten und zu neuen Urteilen mit lebenslanger Freiheitsstrafe
führten. So wurde bei Christian Klar eine Mindesthaftdauer von 26
Jahren festgelegt (Entlassung 2008), bei Brigitte Mohnhaupt sind 24 Jahre
beantragt (Entlassung 2006). Eine derart lange Haftdauer ist bereits unter
"normalen" Bedingungen nicht mit den genannten Verfassungs-
und Völkerrechtsnormen nicht vereinbar. Berücksichtigt man die
einschneidenden Sonderhaftbedingungen,22
denen die Gefangenen der RAF während ihrer bisherigen Haft ausgesetzt
waren, so wiegt die Rechtsverletzung besonders schwer. Bei Fortsetzung
der Haft gibt es keine Möglichkeit, den schweren gesundheitlichen
Folgen jahrelanger Isolationshaft etwas entgegenzusetzen - auch Hafterleichterungen
bieten diese nicht.
Eine
Berücksichtigung erschwerter Haftbedingungen bei der Anrechnung bereits
verbüßter Haftdauer wird bislang nur bei ausländischer
Haft praktiziert. So hat das OLG Celle im Prozeß gegen Kani Yilmaz
die Auslieferungshaft im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh
mit dem Faktor 1,2 angerechnet. Aufgrund der Aufrechterhaltung des Dogmas,
Folter könne es in der BRD gar nicht geben, schließlich sei
man doch ein Rechtsstaat, erscheint es nur konsequent, dies nicht auf
im Inland verbüßte Strafen auszudehnen. Bei einer nur halbwegs
angemessenen Berücksichtigung der Sonderhaftbedingungen hingegen
müßten die Gefangenen aus der RAF sofort entlassen werden.23
Dementsprechend ergeben sich zwei Folgerungen. Das Isolations-Haftstatut,
daß nicht nur gegen Gefangene aus der RAF, sondern z. B. auch
gegen nach § 129a angeklagte KurdInnen und gegen Gefangene,
die im Gefängnis durch kritisches Verhalten und Versuche der Gefangenen-Organisierung
(sogenannte Renitenz) aufgefallen sind, eingesetzt wird, muß abgeschafft
werden. Die wegen Mitgliedschaft in der RAF einsitzenden Gefangenen müssen
freigelassen werden.
rd
-
Sartorius II, Nr. 20.
-
Sartorius II, Nr. 130.
-
Empell, Hans-Michael, Die Menschenrechte
der politischen Gefangenen in der Bundesrepublik Deutschland,Köln
1995, S. 86 ff.;
Bakker Schut, Pieter u. a., Todesschüsse, Isolationshaft,
Eingriffe ins Verteidigungsrecht, 4. Auflage, Berlin 1995, S. 15.
Beide Bücher werden zur Lektüre empfohlen; sie untersuchen
neben den hier behandelten Haftbedingungen auch die Eingriffe in das
Verteidigungsrecht sowie Todesfälle in den Gefängnissen
und bei der Fahndung.
-
UN-Dokument E/CN.4/1986/15, S. 26 f.
-
Amnesty international, Arbeit zu den Haftbedingungen
in der BRD, Mai 1980, S. 16.
-
European Commission of Human Rights, Decisions
and Reports, 14.1979, S. 64 ff. zurueck
-
Bakker Schut, a.a.O., S. 14, 39 ff. zurueck
-
Empell, a.a.O., S. 41. Vgl. hierzu die
oben beschriebenen Bedingungen der Kontaktsperre.zurueck
-
Empell, a.a.O., S. 42 f. zurueck
-
Empell, a.a.O., S. 43. zurueck
-
Empell, a.a.O., S. 42. zurueck
-
Empell, a.a.O., S. 46. zurueck
-
Empell, a.a.O., S. 44. zurueck
-
Diese Norm gilt im übrigen nur für
Straf-, nicht aber für Untersuchungshaft. zurueck
-
S.o. II 2 b. zurueck
-
Empell, a.a.O., S. 44. zurueck
-
Sartorius II, Nr. 140. zurueck
-
Lüthke, ZRP 1988, 53; Empell, a.a.O.:,
S. 32 ff. zurueck
-
Empell, a.a.O., S. 33 f. zurueck
-
BVerfGE 45, 187. zurueck
-
BVerfGE 86, 288. zurueck
-
Auch Gefangene, die nicht mehr dem 23-Punkte-Statut
unterworfen sind, bleiben weiterhin besonderen Bedingungen unterworfen.
Zum Beispiel für Christian Klar heißt dies: wenige Besuchsgenehmigungen,
Postkontrolle, Verbot von Interviews. Die Teilnahme an einem Informatik-Fernstudiengang
wurde ihm versagt. Selbst für das Recht, mit Angehörigen
zu telefonieren, mußte er fünf Wochen in den Hungerstreik
treten. Seine Verlegung zu Rolf-Clemens Wagner in ein anderen Gefängnis
und Bundesland wurde im Herbst 1998 abgelehnt - verantwortlich hierfür
war der damalige Hessische Justizminister Rupert von Plotnitz (Bündnis
90/Die Grünen). zurueck
-
So auch Angehörigen-Info 205, 2. zurueck
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