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Das Märchen von der Inneren Sicherheit

Mit Sicherheit von der FDGO zum freiheitsbeschränkenden, demokratiefeindlichen Überwachungsstaat?


Sicherheit des Staates contra individuelle Freiheit


Mit den Sicherheitspaketen der rot-grünen Regierung wurde nach der Schleier- und Rasterfahndung, dem Lauschangriff und der stetigen Ausweitung der Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten ein weiterer Schritt zum Abbau von Freiheitsrechten getan.


Die Sicherheit des Staates und der „Kampf gegen den Terrorismus“ zwingt „uns“ angeblich dazu. Die Deutschen werden sich als Teil der „freien Welt“ daran gewöhnen müssen, dass die Freiheit des Einzelnen oder gar eine Privatsphäre hinter dem Bedürfnis des Staates auf Sicherheit zurückstehen muss - oder haben sie sich längst daran gewöhnt(?). Jeder und jede ist ein Sicherheitsrisiko und hat gefälligst nichts zu verbergen zu haben! Freilich dürfen Regierungsmitglieder und staatliche Organe so viel zu verbergen haben, wie nur möglich... Während die BürgerInnen immer gläserner werden, werden Informationen über staatliches Handeln immer dürftiger. Das hat mit Demokratie wenig zu tun!

Doch was ist mit der „terroristischen Gefahr“? Soweit überhaupt von einer tatsächlichen Steigerung dieser Gefahr nach dem „11. September“ gesprochen werden kann, so hat diese Gefahr zumindest kaum etwas mit den Sicherheitspaketen zu tun. Die dort festgelegten Maßnahmen sind größtenteils völlig ungeeignet, irgendeinen Terrorismus zu bekämpfen.

Bspw. darf der Bundesgrenzschutz (BGS) nunmehr einen Grenz- und Küstenstreifen von 50 km kontrollieren (vorher 30 km). Per Rechtsverordnung kann das Innenministerium diesen Streifen sogar auf 80 km erweitern. Das diese Regelung irgendwie zur „Terrorismusbekämpfung“ beitragen könnte, darf bezweifelt werden. Vielmehr muss befürchtet werden, dass der BGS weit im Inland „Jagd auf AusländerInnen“ machen wird. Die Erfahrungen aus Zittau, wo der BGS Taxifahrer dazu brachte, keine ausländisch aussehenden Menschen zu transportieren, ist noch in Erinnerung. (siehe freischüßler 2/99)

Die Maßnahmen der Sicherheitspakete stehen in einer Linie mit einer Entwicklung, die weit vor dem „11. September“ begann. Diese Entwicklung heißt, dass der Sicherheitsstaat in dem Maße aufgerüstet wird, wie der Sozialstaat abgebaut wird. Der „11. September“ mit seinen Hunderten Toten wird lediglich zur Durchsetzung des Sicherheitswahns missbraucht. Nach dem „11. September“ hat sich gar nichts verändert, wie immer wieder mit tiefbesorgter Miene verkündet wurde, außer, dass jede Kritik an Freiheitsbeschränkungen sofort im Keim erstickt werden kann. Wer Kritik äußert ist selbst ein Sicherheitsrisiko oder hat etwas zu verbergen.


Die „Ausländerbedrohung“


Minister Schily entdeckte den „Ausländerterrorismus“ den es mit den Sicherheitspaketen zu bekämpfen gilt. Klar, „die“ AusländerInnen sind es wieder einmal. Nun müssen sich „die“ AusländerInnen in Deutschland einmal mehr bewähren. Sie gelten zunächst als potentiell gefährlich und dürfen durch Wohlverhalten „unsere“ Gunst erringen, wobei sie andererseits, wenn sie so gegen gar kein deutsches Gesetz verstoßen wollen, sofort in den Verdacht geraten, „SchläferInnen“ zu sein - schließlich gibt es so viele rassistische Sondergesetze für AusländerInnen, dass jemand der oder die nie dagegen verstößt, eine gewisse Geschicklichkeit mitbringen muss, wenn nicht gar kriminelle Energie...

Ganz anders bei den Deutschen. Deutsche junge Menschen mit charakteristischer Kleidung und Gesinnung und oftmals kahlgeschorenem Haupt können Menschen umbringen, verletzten, offen angreifen, beschimpfen usw. Tun sie dies, sind sie freilich keine Terroristen. Nein, es sind frustrierte Jugendliche, die nur auf den Pfad der Tugend zurückgebracht werden müssen und die vielleicht perspektivlos sind, weil ein „Ausländer“ ihnen einen Arbeitsplatz, die Wohnung, die Freundin oder den Parkplatz weggenommen hat. Und überhaupt: wer ein paar AusländerInnen oder „Zecken“ umbringt, ist doch nicht gleich ein schlechter Mensch oder gar Terrorist...

Einigkeit besteht also darüber, dass etwas gegen den „Ausländerterrorismus“ getan werden muss. Und das geht so:

Das Bundeskriminalamt (BKA) wird zur „zentralen Bundespolizei“ ausgebaut. Polizei ist zwar Ländersache und Art. 87 I GG erlaubt lediglich eine koordinierende Stelle des Bundes in Sachen Polizei - doch wer allzu oft die Verfassung beim Wort nimmt, steht schnell als ewiger Querulant und Bremser des Fortschritts da. Das BKA darf in Zukunft Verdeckte Ermittler mit Lizenz zum Lauschangriff einsetzen und personenbezogene Daten auf Vorrat und ohne Anfangsverdacht (und damit ohne Einschaltung der Staatsanwaltschaft) sammeln. Damit darf das BKA also Ermittlungen unterhalb der Schwelle des Anfangsverdachtes führen. Diese - ohnehin sehr niedrige - Schwelle sieht die StPO aber vor. Diese Regelung sprengt damit das System der StPO und stellt den Grundsatz, dass allein die Staatsanwaltschaft Herrin der Ermittlungsverfahren ist, in Frage.

Das BKA wird mit diesen Neuregelungen einem Geheimdienst sehr ähnlich. Auch hier sei querulatorisch an das Verfassungsgebot der strikten Trennung von Geheimdienst und Polizei erinnert. Die vom Sicherheitswahn noch unberührten und dafür unter dem Eindruck der Erfahrungen mit der geheimdienstlichen Polizei namens Gestapo stehenden Mütter und Väter des Grundgesetzes nahmen diesen Trennungsgrundsatz nicht ohne Grund in die Verfassung auf.

Ebenso werden die Kompetenzen des BGS, des Bundesnachrichtendienstes (BND), des VS und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) ausgeweitet. Alle diese Behörden dürfen nun Daten sammeln, ohne dass eine wirksame Kontrolle möglich wäre.


Weitere Details zu den Regelungen im Sicherheitspaket ...


Auswirkungen der Sicherheitspakete


Durch die Auflösung der Grenzen von Polizei und Geheimdienst und den massiven Zuwachs an legalen Möglichkeiten für staatliche Kontrolle der Bürger bei Abnahme der Möglichkeiten der Kontrolle des Staates durch den Bürger bleibt einmal mehr festzustellen, dass jeder und jede für verdächtig erklärt wird und mit Überwachung rechnen muss. Das Gefühl der Betroffenheit wird dabei dadurch gemildert, dass die Überwachungsmaßnahmen größtenteils geheim bleiben.


Neben den Unsichtbaren BeamtInnen werden auch sichtbare BeamtInnen für „unsere Sicherheit“ sorgen. Insbesondere der BGS hat, wie oben schon angedeutet, einige Befugniserweiterungen verbuchen können. Unter anderem sind Sky Marshalls angedacht. Bewaffnete BGS-BeamtInnen werden zivile Flugreisen begleiten. Dabei wurde weder der Einwand des Bundesjustizministeriums beachtet, man müsse zunächst völkerrechtliche Probleme klären, noch wurde bedacht, dass es widersinnig sein könnte, einerseits einen riesigen Aufwand zu betreiben, damit keinerlei Waffen an Bord kommen und andererseits per Gesetz Waffen an Bord zu bringen. Zudem ist im Gesetz nichts zur Kompetenzfrage an Bord gesagt. Bisher liegt die Hoheitsgewalt allein beim Kapitän. Müssen also die BGS-Leute jede Aktion mit dem Kapitän abstimmen? Kann der Kapitän die Mitnahme der bewaffneten Passagiere verweigern usw. usw.? Das Gesetz regelt erst einmal, ohne an Folgefragen zu denken.

Hat sich die Situation für deutsche BürgerInnen auch erheblich verschlechtert, so sind wieder einmal AusländerInnen am härtesten von den Sicherheitspaketen betroffen. Kurz gesagt: AusländerInnen unterliegen in der BRD einer absoluten Überwachung. Nur einige Beispiele:

Wem in der BRD keine Gewaltanwendung nachgewiesen werden kann und wer sich verbal oder schriftlich gegen politische GegnerInnen im Ausland richtet, kann durch den VS verfolgt werden. Das heißt, Flüchtlinge, die sich hier gegen ihre Unterdrücker im Heimatland wenden und gegen dortige Menschenrechtsverletzungen, unterliegen der Überwachung des VS. Die praktische Umsetzung dieser Regelung liegt freilich in der Willkü... äh in der verantwortungsvollen Verwaltungstätigkeit des VS.

Neu ist auch, dass bei „Terrorismusverdacht“ eine sofortige Abschiebung erfolgen kann. Was unter Terrorismus fällt (bei der Verwirklichung einschlägiger Straftatbestände kann auch heute schon die Abschiebung erfolgen) ist ebenso unklar, wie die Frage, wo ein Verdacht anfängt, und wer letztlich darüber befindet.

Zudem wird pauschal die sofortige Vollziehbarkeit der Abschiebung festgeschrieben. Eine solche skandalöse Regelung wäre für Deutsche undenkbar und stellt zum Gesetz geronnenen puren Rassismus dar. Rechtsmittel von Betroffenen der Abschiebung haben damit keine aufschiebende Wirkung mehr. Das heißt: Die Abschiebung kann noch so illegal sein, sie wird durchgeführt, auch wenn der oder die Betroffene Widerspruch oder Klage dagegen erhoben hat. Dass eine Weiterverfolgung der Rechtsmittel aus dem Heimatland kaum möglich sein wird, ist überflüssig zu erwähnen. Damit wird der Verfassungsgrundsatz des effektiven Rechtsschutzes für AusländerInnen außer Kraft gesetzt. Eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit kann nur bei einem besonderen öffentlichen Interesse vorgenommen werden. Ein solches ist hier nicht ersichtlich. Oder sind wir wieder soweit, dass der Grundsatz „Ausländer raus“ über Verfassungsgrundsätze gestellt wird?

AusländerInnen die per Visa in die BRD einreisen, müssen damit leben, dass alle ihre Visa-Daten auf Vorrat gespeichert werden. Und da sich der staatliche Rassismus nicht nur auf „die“ AusländerInnen an sich konzentriert sondern auch auf die, die mit „den“ AusländerInnen verkehren, werden auch die Daten der Einladenden Deutschen gespeichert.


Kritik ist notwendig


Auch wenn die Zeiten für Kritik schwierig sind, so ist es doch um so notwendiger, Kritik zu üben. Es kann doch nicht sein, dass SicherheitsfanatikerInnen, mit mittelalterlichen Beschwörungen „des Bösen“ und „des Guten“ ernsthaftes Gehör finden, während kritische freiheitsliebende Menschen pauschal angefeindet werden. „Ja was willst Du denn gegen den Terrorismus tun?“ heißt es oft als „Argument“ für das eigene unreflektierte Nachplappern. Doch nicht die Kritik an freiheitsbeschränkenden Maßnahmen muss sich rechtfertigen, sondern der Staat muss sich rechtfertigen, wenn er die Freiheit der Menschen beschränkt!

Genau dies tut er aber (wenn überhaupt) nur unzureichend. Nicht nur, dass eine öffentliche Diskussion der Sicherheitspakete durch eine demokratiefeindliche Geheimhaltung der Gesetzesentwürfe verhindert wurde, auch die Gesetzesbegründung vermag keine Rechtfertigungen für die massiven Einschnitte in Menschenrechte zu erbringen.

Die Sicherheitspakete sind gespickt mit unbestimmten Rechtsbegriffen, die zumeist der Auslegung der Verwaltungspraxis überlassen bleiben und damit der Willkür Tür und Tor öffnen. Die Gesetzesbegründung ist phrasenhaft. Tatsachen werden durch Behauptungen ersetzt. Es wird weder ersichtlich, wie die Maßnahmen terroristische Aktivitäten verhindern können, noch welche sonstigen Rechtfertigungen es für Menschenrechtsbeschneidungen gäbe. Beispielhaft seien hier einige durchaus repräsentative Sätze aus der Begründung der Änderung des Ausländerzentralregistergesetzes angeführt: „Die Sicherheitslage nach den Terroranschlägen in den USA erfordert verschärfte Sicherheitsmaßnahmen. Voraussetzung hierfür ist insbesondere auch eine verbesserte Erkenntnisgewinnung aus dem Ausländerzentralregister (AZR). Dieses Gesetz enthält wichtige Neuregelungen, die insbesondere der Bekämpfung des Terrorismus dienen. [...] Dieses Instrument gewährleistet eine bessere Kontrolle der Einreise von Ausländern.“ Am Ende wird lapidar festgestellt: „Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist gewahrt.“


Marsch in den Polizeistaat?


Sind wir durch die Sicherheitspakete auf dem Marsch in einen Polizeistaat - oder bereits dort angekommen? Also in einem absolutistischen Staat in dem die Staatsorgane öffentlicher Kontrolle völlig entzogen sind, leben wir sicher nicht. Und doch fühlt sich z.B. die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) dazu veranlasst, die Sicherheitspakete als „deutliches Zeichen auf dem Weg in einen Polizei- und Überwachungsstaat“ zu benennen.

Der Polizeistaat ist der Gegensatz zum Verfassungs- und Rechtsstaat. In ihm gibt es geheime Polizeien, die Gewaltenteilung ist aufgehoben, ein Recht auf Intimität existiert nicht, die Unschuldsvermutung gilt nicht, eine freie unkontrollierte Bewegung ist nicht möglich und faire durchschaubare Justiz sucht man vergeblich.

Geheime Polizeien haben wir sicherlich, jedoch entziehen sich jeweils nur Teile davon der öffentlichen Kontrolle. Eine Aufhebung der Gewaltenteilung wäre dann gegeben, wenn Polizeiverordnungen das Bild prägten, die Legislative entmachtet wäre und die Judikative dies billigte. Verordnungen nehmen zwar durchaus zu - so gibt es immer häufiger Polizeiverordnungen, die ganze Städte unter ein Demonstrationsverbot stellen - doch reicht es sicher kaum für einen Polizeistaat.

Es ist also klar, dass die Bemühung des Begriffes Polizeistaat nur ein überspitzter Kampfbegriff sein kann. Jedoch ist die Entwicklung weiter kritisch zu beobachten, da es immer schwieriger wird, den „modernen westlichen Staat“ vom Polizeistaat abzugrenzen. Durch den Ausbau von Polizei und Geheimdienst werden diese immer mehr zur eigentlichen Machtbasis des Staates und durch die umfangreichen verdachtsunabhängigen Geheimermittlungskompetenzen wird die informationelle Selbstbestimmung ad absurdum geführt. Das Bundesverfassungsgericht wies einstmals (BVerfGE 65, 43) darauf hin, dass die Unsicherheit, bestimmte Verhaltensweisen könnten jederzeit registriert und dauerhaft gespeichert werden, zum Verzicht auf die Ausübung von Grundrechten führen kann.

Es gilt, zu verhindern, dass demokratische Errungenschaften weiter als unmodern abgewickelt werden.


Abdul-Ahmed Schmidt




Weitere Details zu den Regelungen im Sicherheitspaket

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